0915 - Die Rückkehr des Schrecklichen
die wie das Jaulen eines jungen Hundes klangen und rannte auf die Tür zu. Sie riss an dem hölzernen Riegel herum, aber er bewegte sich keinen Millimeter.
In einer finsteren Ecke sah sie eine Bewegung. Aus den Augenwinkeln nur. Myrtle erstarrte. Dann flog ihr Kopf herum. Ohne das leiseste Geräusch löste sich eine Gestalt aus dem diffusen Grauschwarz.
Das… das kann nicht sein. Ich hätte ihn schon vorhin bemerken müssen. Wie sieht der denn aus?
»Wer sind Sie?«, fragte die Engländerin mit zitternder, krächzender Stimme.
Der Mann, von mittelgroßer Statur und ziemlich dick, grinste breit. Er war in ein altertümliches grünes Wams mit brauner Weste und derbe rote Stoffhosen gekleidet. Sein Hals wurde von dem wild wuchernden, braunen Vollbart verdeckt, der ihm bis auf die Brust herunter hing. Auf dem Kopf trug die seltsame Erscheinung ein grünes Barett. Der Kerl wippte auf den Absätzen seiner schweren Stiefel, während er seine Daumen in das Wehrgehänge hakte, das seine Hüften umschloss. Unangenehm stechende Augen über einer breiten, mehrfach gebrochenen Nase musterten Myrtle von oben bis unten. Sie sah Gier darin leuchten und fühlte sich plötzlich nackt und bloß.
»Was… was wollen Sie?«, fragte sie erneut.
»Seid mir willkommen, Mylady«, sagte er mit tiefer Bassstimme und in einem altertümlichen Dialekt, der bestens zu seinem Aussehen passte. »Ich sah Euch schon vom Fenster aus diesem herrlichen Hause zueilen und bereitete Licht für Euch. Denn Ihr sollt wissen, dass ich Euch mitnichten in stockdunkler Nacht empfangen wollte. Eamonn Ross weiß schließlich, was sich einer Lady gegenüber gehört.«
Er kniff das linke Auge zusammen und kicherte. Eiskalte Schauer brandeten über Myrtle Ledfords Körper. Dann zog er seinen Hut mit vollendeter Grandezza vor ihr. »Nun, ich muss gestehen, dass ich mich erdreistete, Eurem Wollen, dieses wunderbare Haus zu betreten, ein bisschen nachgeholfen zu haben. Ich hoffe, Ihr seht mir das nach.«
Myrtle schluckte schwer. Wie konnte es zugehen, dass sie jedes Wort des Unheimlichen genau verstand, obwohl er altertümliches Gälisch redete? Sie starrte auf den Degen, den diese ganz und gar unwirkliche Erscheinung am Gehänge trug.
»Ah, Ihr habt ein Auge für das Schöne, Gute«, höhnte Ross. »Das gefällt mir. Denn es ist ein wahrhaft vortreffliches Stück, das könnt Ihr mir glauben.« Er zog den Degen aus der Scheide und fuchtelte damit in der Luft herum. Dann steckte er ihn wieder zurück.
»Sehr geschwätzig seid Ihr ja nicht, Mylady. Aber das müsst Ihr auch nicht unbedingt sein. Es reicht, dass Ihr den Weg hierher gefunden habt. Deswegen seid Ihr ein Geschenk für mich, ein Geschenk des Teufels, würde ich sagen. Wie lange schon warte ich auf diesen Tag!«
Ein böses Glühen lag plötzlich in seinen Augen. Myrtle glaubte, es für einen Moment grellrot leuchten zu sehen, aber das war sicher nur Einbildung.
Eamonn Ross kam näher. So lautlos, wie er bereits erschienen war. Das Entsetzen lähmte Myrtle nun vollständig, denn die Füße des Mannes schwebten eine Handbreit über dem Boden! Zudem erkannte sie jetzt, dass er durchsichtig war.
»Du… du bist ein Geist«, flüsterte sie voller Grauen.
»Nun, Mylady, es mag vielleicht so aussehen«, erwiderte Ross süffisant. »Aber eigentlich bin ich eher das, was man einen Dämon nennt. Doch ich gebe zu, hin und wieder liebe ich es, als Geist aufzutreten. Nennt es eine Marotte von mir.«
»Nein…« Myrtles Lähmung löste sich. Sie warf sich herum, rüttelte erneut an dem Riegel und hastete zum nächsten Fenster, als sich dieser nach wie vor nicht bewegte.
»So vergeltet Ihr mir also meine Gastfreundschaft?«, tadelte Ross. »Das ist nicht gerade edel von Euch. Seht ein, dass Ihr Eure Kräfte nur vergeudet. Schont sie lieber und überlasst sie mir. Ich kann sie besser gebrauchen.«
»Mit wem redest du da, Eamonn?«, keifte eine weibliche Stimme von der Treppe her. Myrtle Ledford fuhr erneut herum. Oben am Treppenabsatz zum ersten Stock stand eine Frau. Eine Schönheit. Ihr weißblondes Haar war über ihrem ausdrucksvollen, ebenmäßigen Gesicht zu einer kunstvollen Hochfrisur gedreht. Weite, geraffte Röcke ließen ihre gute Figur nur erahnen. Die Frau mochte um die vierzig Jahre zählen.
Eamonn Ross zog den Kopf ein. »Zum Engel mit dieser aufdringlichen Allison Longmuir«, fluchte er leise. »Nun ist sie doch noch aufgewacht.«
»Sieh mal, Allison, wir haben Besuch«, sagte er laut und setzte
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