0915 - Macht des Schicksals
malte sich ein erstaunter Ausdruck ab. »Siehst du noch eine andere Chance?«
»Nein, nur einen vagen Schimmer. Ich habe gesehen, daß John sein Kreuz hielt. Möglicherweise schafft es seine Kraft, dieses Zeitloch wieder entstehen zu lassen.«
»Ein Wunder- und Allheilmittel ist es nicht, Suko«, gab der Templer zu bedenken.
»Leider, muß ich in diesem Fall sagen.« Er wollte nicht mehr reden und verließ das zerstörte Innere der Kapelle. Draußen blieb er vor den Mauerresten stehen.
Sein Blick glitt über ein wunderschönes, hochgelegenes Land. Eine klare Luft umgab ihn. Die Sonne schien noch und badete die Natur mit ihrer Wärme.
Für Suko war das alles nicht vorhanden. Ihm kam es vor, als hielten die Schatten des Todes das Land bedeckt, und er fragte sich, wie dieser Fall wohl enden würde…
***
Ich hatte schon meine rechte Hand zur Faust geballt, um sie Gilles de St.Clair ins Gesicht zu schmettern, riß mich aber im letzten Moment zusammen. Ein derartiger Gefühlsausbruch zur unrechten Zeit brachte nichts, und ich hätte mich auf der anderen Seite nur lächerlich gemacht. Mein Arm sank wieder nach unten. Ich öffnete die Faust und streckte dabei die Finger so stark, daß die Sehnen schmerzten.
St.Clair hatte mich beobachtet. Der graue Katharer bewegte sich nicht. Selbst seine Augen blieben tot, wobei mir dieser Ausdruck irgendwie hochnäsig vorkam, denn er machte auf mich den Eindruck eines Mannes, der sich seiner Sache sehr sicher war und genau wußte, wie der Hase laufen würde.
»Noch eines!« sprach ich ihn an. »Sollten meine Eltern durch die Kraft deiner Seele sterben, werde ich dich vernichten. Und ich halte mein Wort.«
Er hatte ruhig zugehört, und ich bekam auch eine ebenso ruhige Antwort von ihm, wobei die Worte an Wahrheit und Brisanz nichts zu wünschen übrigließen. »Du kannst versprechen, was du willst, aber du darfst eines nicht vergessen. Du befindest dich in meiner Zeit und bist deshalb auf mich angewiesen. Nur ich kann dir den Rückweg ermöglichen. Um auf diese Zeit zurückzukommen, ich kenne mich darin aus. Wir stecken inmitten der Albigenserkriege. Zwar ist diese Kapelle gestürmt worden, man hat auch einen Brand gelegt, und die Soldaten zogen weiter, aber es gibt genügend marodierende Horden, die das Land durchstreifen. Aus diesem Grunde wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher, was dein Versprechen angeht. Du brauchst mich, John Sinclair, und ich glaube, daß du es bald sehr deutlich spüren wirst.«
»Marodierende Horden, die plündern?«
»Ja.«
»Ich glaube dir sogar. Aber noch sind keine Feinde in der Nähe. Wir sind allein. Ich werde dich zwingen, den Rückweg einzuschlagen. Ich weiß, daß du mein Kreuz nicht magst, aber ich werde darauf keine Rücksicht nehmen. Du wirst es dir ansehen müssen, ob du willst oder nicht. Du wirst das Kreuz als einen ersten Schritt zurück in die Gegenwart annehmen. Hast du verstanden?«
»Versuche es.«
Er gab sich sicher. War er das auch? Spielte er nur mit mir? Oder war er tatsächlich so stark von sich überzeugt? Ich dachte auch darüber nach, ob wir zeitgleich in der Vergangenheit gelandet waren. Am selben Tag, zur selben Stunde oder Minute. Wenn ja, dann konnten meine Eltern bereits tot sein.
Diese Vorstellung trieb mir das Blut ins Gesicht. Wieder hätte ich gern auf den Seelenlosen geschossen und den Körper mit Silberkugeln aus der Beretta gespickt.
Aber er hatte recht. Ich brauchte ihn tatsächlich. Deshalb wollte ich mein Kreuz auch nicht zu hart einsetzen. Wenn ich diese Gestalt vernichtete, konnte mir der Rückweg für alle Zeiten versperrt sein, und das durfte ich nicht riskieren.
Er schaute wieder zu, wie ich das Kreuz hervorholte. »Ich mag es nicht«, flüsterte er. »Zeig es mir nicht, es hat keinen Sinn.«
»Angst? Hast du Angst?«
»Nein, aber es wäre nicht gut. Du solltest dir auf keinen Fall einen neuen Feind machen.«
»Kommt es auf den einen noch an?«
»Ja.«
»Gut, dann möchte ich etwas anderes von dir.«
»Und was?«
»Ich möchte deinen Herzschlag fühlen. Ich will ihn fühlen und hören, wie das Herz schlägt.«
Zum erstenmal zeigte sich in seinem Gesicht eine Regung. Er runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen zusammen. »Warum das denn?« fragte er und klang dabei verunsichert. »Was willst du fühlen? Warum willst du meinen Herzschlag…?«
»Ich will wissen, wie du lebst.«
»Das siehst du. Ich stehe vor dir.«
»Ja, es stimmt. Aber ich habe gelernt, daß ein Mensch ohne
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