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0916 - Der Quellmeister und die Bestie

Titel: 0916 - Der Quellmeister und die Bestie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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zu groß, als daß er mit einem Befreiungsversuch Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Außerdem fragte er sich, ob er ohne Hajlik nicht besser dran sei. Sie war in letzter Zeit eher ein Hindernis als eine Hilfe gewesen.
    Er hockte sich an der Gangecke auf den Boden und überdachte seine Lage. Nach einer halben Stunde setzte er sich in Bewegung. Äußerst vorsichtig folgte er der Richtung, die die Vermummten eingeschlagen hatten.
     
    *
     
    Der breitschultrige Kukelstuuhr-Priester führte den humpelnden Tantha auf den am weitesten rechts liegenden Gang zu. Er durchquerte den Gang, zu dessen beiden Seiten viele verschlossene Türen lagen und gelangte schließlich in einen ovalen Raum, in dem die anderen Priesteranwärter bereits auf den Beginn des Unterrichts warteten. Auf dem ganzen Weg sah sich der Breitschultrige nicht ein einziges Mal nach dem humpelnden Tantha um. Er schien als selbstverständlich anzunehmen, daß dieser ihm auf den Fersen folgte.
    Die Einrichtung des Raumes war eigenartig. An den Rändern des Ovals stieg der Boden zu den Wänden hin ziemlich steil an. Auf halber Höhe der Steilung befand sich eine Art Barrikade, die das Oval in seinem gesamten Umfang umzog und nur zwei Lücken ließ: an der Stelle, wo der humpelnde Tantha mit seinem Führer den Raum betreten hatte, und auf der gegenüberliegenden Seite, wo sich eine hohe, finstere Öffnung befand. In unmittelbarer Nähe dieser Öffnung stießen die Enden der Barrikade zu beiden Seiten an die Wand des Raumes.
    Die wartenden Priesteranwärter hielten sich in der Mitte des Raumes auf. Als Tanthas Begleiter sich ihnen näherte, verbeugten sie sich ehrfurchtsvoll. Der Humpelnde stellte mit großer Erleichterung fest, daß es sich um mehr als dreißig Männer und Frauen handelte, also weitaus mehr als die dreizehn, von denen er gehört hatte, daß sie bei der letzten Opferfeier von Kukelstuuhr verschmäht worden waren. Es dauerte offenbar geraume Zeit, bevor ein Anwärter zum Priester gemacht wurde.
    Der Breitschultrige, der, wie Tantha bei Gelegenheit erfuhr, den Namen Verdantor trug, wandte sich an die Anwärter und sprach: „Ihr wißt, was zu tun ist! Dieser Raum ist der großen Arena in allen Einzelheiten nachgebildet. Durch diese Öffnung dort wird die Gottheit den Raum betreten. In dem Augenblick, in dem sie sich zeigt, beginnt ihr mit dem Gesang der Erhabenheit. Ihr seid hinter der Barriere postiert, damit die Gottheit euch nicht mit den Opfern verwechseln kann. Sobald das erste Opfer gefallen ist, stimmt ihr den Choral des Wohlgelingens an, bis die Gottheit sich zurückzieht. Ihr singt, bis sie nicht mehr zu sehen und nicht mehr zu hören ist. Dann ist die große Opferfeier vorüber, und man wird euch zu Priestern ernennen, wenn ihr während der Feier, keinen Fehler begangen habt. Und jetzt - geht auf eure Posten!"
    Von da an wurde die Sache für den humpelnden Tantha einigermaßen schwierig. Seine Sorge war nicht, daß er bei der großen Opferfeier einen Fehler machte und dadurch die Berufung zum Priester versäumte, sondern vielmehr, daß er sich jetzt einen Schnitzer leistete und dadurch ans Tageslicht brachte, daß er eigentlich gar nicht zu dieser Gruppe gehörte.
    Er folgte den vermummten Priesteranwärtern und ahmte jede ihrer Bewegungen nach. Sie schritten zu dem Ausgang, durch den er mit Verdantor die Halle betreten hatte. Dort wandten sich die einen nach links, die andern nach rechts, um den Platz hinter der Barriere zu besetzen. Verdantor folgte ihren Bewegungen mit großer Aufmerksamkeit, und der humpelnde Tantha atmete auf, als der Breitschultrige, nachdem sie ihre Positionen eingenommen hatten, mit lauter Stimme verkündete, sie hätten ihre Sache gut gemacht.
    Bei dem nun folgenden Gesang hatte es Tantha nicht allzu schwer. Er bewegte die Lippen, obwohl man sein Gesicht unter der weit nach vorne hängenden Kapuze wahrscheinlich nicht sehen konnte, und versuchte im übrigen, sich die Worte der beiden Gesänge einzuprägen. Das war nicht sonderlich schwierig, da der Text sich in Gruppen von jeweils fünfzehn bis zwanzig Worten ständig wiederholte. Als Verdantor mit einer sprechenden Geste andeutete, daß der Götze sich entfernt habe und nicht mehr zu hören sei, da kannte der humpelnde Tantha sowohl den Gesang der Erhabenheit als auch den Choral des Wohlgelingens auswendig.
    „Kehrt nun in eure Unterkünfte zurück!" rief Verdantor. „Diese Probe wird noch zweimal stattfinden, dann ist die Zeit der großen Opferfeier gekommen

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