0916 - Zamorras größter Schock
»Dieser verdammte Wind«, murmelte er.
***
Cynthia Hartley und Jane Duffield schoben ihre Räder den steilen Buckel hoch. Davon hatten sie einige zu überwinden auf dem Weg zwischen Braemar und Dumbarton Courte, das etwa sechs Kilometer außerhalb des kleinen Highland-Städtchens lag.
Die Mädchen hatten abgemacht, heute gemeinsam Mathe zu lernen. Bei Cynthia zu Hause, die eine sehr gute Schülerin war. Jane hingegen durfte sich bestenfalls zum unteren Durchschnitt rechnen und war froh, wenn Cy sie dementsprechend unterstützte. Denn auch sie wollte später mal einen guten Beruf ergreifen.
Beide gehörten zwar der Gothic-Bewegung an, waren aber alles andere als weltfremd, wie man das unter Gothics schon mal finden konnte. Mit ihren schwarzweiß geschminkten, düster wirkenden Gesichtern und dem schwarzen Outfit wollten sie die Erwachsenen ein wenig schocken, mehr nicht. Ansonsten waren sie die Friedfertigkeit in Person, ganz im Sinne dieser Jugendkultur, die von Unwissenden auch schon mal des Satanismus bezichtigt wurde.
Cynthia, die Hübschere von beiden, strich sich durch die nach hinten gekämmten pechschwarzen Haare und ließ die Zunge kurz über die schwarz geschminkten Lippen kreisen. Mit den schwarzen Lidschatten und Wimpern sowie den zahlreichen Lippen- und Nasenpiercings wirkte sie dämonisch schön. Die großen runden Ohrringe, mit denen sie auch Hula-Hopp hätte machen können, wurden von dem rauen Nordwind immer wieder gegen die Lippenpiercings geschlagen, was einen seltsam klingenden Ton verursachte.
Jane sah im Prinzip genauso aus, nur dass sie kleiner und wesentlich dicker als ihre Freundin war. Dafür konnte sie Menschen wesentlich besser einschätzen als Cynthia.
»Auf diesen französischen Professor bin ich… echt gespannt«, sagte Jane gerade. Sie hatte Mühe, mit Cynthia Schritt zu halten und kam bereits ein wenig ins Keuchen.
Cynthia funkelte ihre Freundin an. »Ach der. Der soll mir bloß nicht in die Quere kommen, sonst beiße ich ihm die Eier ab.«
Die Mädchen kicherten.
»Da wird er dich nicht ran lassen. Sieht der Typ wirklich so gut aus?«
»Ja, schon. Ungefähr wie Pierce Brosnan. Aber ich mag ihn trotzdem nicht.«
»Warum denn nicht? Ist er so ein Kotzbrocken? Du hast doch gesagt, dass er keiner von denen aus dem Netz ist, die deine Mum nachlegen wollen.«
Cynthia hielt an, drehte sich zu Jane und machte ein wichtiges Gesicht. »Er ist keiner von den Typen aus den Chats, das habe ich gesagt. Ob er meine Mum nachlegen will oder nicht, ist aber noch gar nicht raus.«
»Du siehst immer nur das Schlechte in den Typen, die deine Mum anschleppt, Cy. Gönn ihr doch auch mal was.«
Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sich Cynthias Gesicht nun noch mehr verdüstert. »Nein, ich gönn ihr nichts. Denn in Sachen Beziehungskisten hat meine Mum nichts drauf, da verpeilt sie sich ständig. Immer gerät sie an Kerle, die sie bloß ausnutzen und ihr wehtun. Das will ich verhindern, denn das hat sie nicht verdient. Verstehst du, Honey? Ich liebe meine Mum nämlich.«
Sie gingen weiter, auf ein kleines Eichenwäldchen zu, das sich auf der Hügelkuppe erstreckte.
»Ja, klar, weiß ich, Cy, du liebst deine Mum. Aber du hast doch gesagt, dass dieser Prof wegen diesem Mord hier ist. Da könntest du ihn besser behandeln.«
»Verstehst du denn nicht, Honey? Gerade deswegen kommt mir der Typ ganz direkt in die Quere. Ich kann es nicht zulassen, dass er den Mord aufklärt, denn das ist allein meine Sache.«
Jetzt war es Jane, die stehen blieb. Nicht ganz uneigennützig, denn sie bekam immer weniger Luft. »Cy, du… spinnst total. Für so was ist die Polizei zuständig. Das ist doch höchst gefährlich. Ich bin sicher, dass Jake Sutherland dich killt, wenn er dich erwischt. Und außerdem ist ja gar nicht sicher, ob er wirklich was mit dem blutleeren Mord zu tun hat. Bloß weil er abartig pervers ist und auf Friedhöfen rumgräbt, muss er noch niemanden umgebracht haben.«
»Pah. Der erwischt mich schon nicht. Gerade auf dem alten Friedhof bin ich ihm im letzten Moment entkommen. Er hatte mich entdeckt und wollte sich auf mich werfen, aber dann ist er gestolpert und auf die Rübe geknallt und ich konnte entkommen. Das Schicksal ist also gegen ihn und für mich. Es will, dass ich dieses Dreckschwein höchstpersönlich überführe.«
Ein unsicherer Blick traf Cynthia. »Ich weiß nicht, ob man das so sehen kann, Cy. Du hast es mir nie verraten, aber warum hasst du Jake Sutherland
Weitere Kostenlose Bücher