0918 - Höllen-Engel
die Kleidung noch so auffällig, die Pillen noch so in, am Tag danach kam der große Katzenjammer, die dumpfe Leere. Als würde sie auf einem dunklen Meer treiben, ohne zu wissen, wo sich das Ufer befindet.
Die Tage zwischen den Wochenenden waren einfach ätzend. Sie brauchte den neuen, vielleicht auch den absoluten Kick, und sie hatte diesen Wunsch nicht für sich behalten, sondern ihn hinausgeschrieen, mit Bekannten und lockeren Freunden darüber gesprochen, die ebenfalls Verständnis für ihre Probleme hatten, weil es ihnen kaum anders erging.
Man wollte was tun, man mußte etwas tun, und es gab welche, die es auch taten.
Und so bekam Cheryl Kontakt mit der Sekte!
Sie wußte bis heute noch nicht, was es für eine Sekte war. Wahrscheinlich war der Begriff falsch, aber sie ließ sich einfach treiben und auch hinführen.
Sie erlebte die Göttin und hatte plötzlich zu ihnen gehört. Noch nicht ganz, aber man hatte ihr versprochen, sie allmählich hinzuführen, wenn die Zeit reif war.
Cheryl war begeistert gewesen. Endlich hatte sie eine Gruppe gefunden, die ihr entgegenkam. Von den Mitgliedern wurde sie verstanden, alle redeten dieselbe Sprache. Cheryl war glücklich, sie war froh über den zweiten Knick in ihrem Leben, bis zu dem Zeitpunkt, als es den dritten gab.
Cheryl verliebte sich.
Sie hatte den jungen Mann zufällig kennengelernt. Er joggte durch den Hyde Park, während sie unter einem Baum Platz nahm um Ruhe zu finden. Es waren die ersten warmen Tage im Mai gewesen, da wurde für viele Londoner der Hyde Park zu einem zweiten Zuhause, und Cheryl wollte über eine wichtige Sache nachdenken, denn sie stand auf dem Sprung in den inneren Zirkel der Sekte.
Der Weg zur Göttin war offen oder nur mehr durch einen schmalen Vorhang versperrt. Sie sollte die Weihen bekommen, und darüber hatte sie in aller Ruhe nachdenken wollen.
Sie und der Jogger fielen im wahrsten Sinne des Wortes übereinander her. Wer von ihnen nicht aufgepaßt hatte, konnten weder er noch sie später sagen, jedenfalls prallten sie zusammen, lagen übereinander, und nach einer unendlich lang erscheinenden Schrecksekunde fingen beide an zu lachen. Cheryl Lupa konnte ihren Blick einfach nicht von den blauen Augen des jungen Mannes lösen. Diese Augen, dieser Blick! Cheryl hatte es voll erwischt, und durch ihren Schädel schoß der Vergleich mit der Liebe auf den ersten Blick. Ein dummer Spruch, ein süßes Gelaber, und sie hätte nie damit gerechnet, daß es so etwas überhaupt gab, aber es stimmte. Denn als der junge Mann ihr auf die Beine half, da hatte sie sich bereits verliebt. Auch sie schien ihm nicht gleichgültig zu sein, denn er hatte lächelnd gemeint: »Was das Schicksal zusammenfügt, soll der Mensch nicht trennen.«
Noch einen Tag zuvor hätte Cheryl jeden ausgelacht, der ihr eine Story von einer solch wunderbaren Begegnung erzählt hätte.
Mit ihrer Ruhe war es aus gewesen, und auch der junge Mann joggte nicht mehr weiter.
Statt dessen fanden die beiden einen Platz in einem Gartencafé, hockten zusammen, erzählten und vergaßen tatsächlich die Welt um sich herum.
Erst bei Einbruch der Dämmerung verließen sie das Café. Daß der junge Mann darauf gedrängt hatte, sie wiederzusehen, machte sie glücklich, aber er hatte noch eine Überraschung für sie bereit.
Daß er Dan Walcott hieß, wußte sie. Aber seinen Beruf kannte sie nicht. Dan erklärte ihr, daß er Polizist war.
Polizist - Bulle! dachte sie. O Scheiße, ausgerechnet! Das durfte nicht wahr sein. Sie hatte sich in einen Bullen verliebt, in einen Typen, den sie sonst nicht mal mit dem Hintern anblickte - und jetzt das!
Was tat sie?
Sie hatte sich nicht umgedreht, um wegzulaufen. Sie war stehengeblieben, sie hatte gelacht und sich in Dans Arme geworfen. Sie waren dann in seine Wohnung gefahren und hatten dort die Nacht miteinander verbracht. Es waren Stunden gewesen, die Cheryl nie vergessen würde. Kein wilder, hemmungsloser Sex, nein, da waren zwei Menschen zusammen, die das gleiche fühlten, und beide hatten dieses Erlebnis genossen.
Es war zum Glück ein Wochenende gewesen, und am nächsten Tag hatten beide frei gehabt, doch ein Morgen, auch ein Sonntagmorgen, konnte so verdammt ernüchternd sein.
Dan hatte sehr schnell festgestellt, daß etwas mit Cheryl nicht stimmte. Und er hatte es verstanden, sich in einen Beichtvater zu verwandeln. Cheryl hatte sich ihm offenbart und ihm von ihrem Leben berichtet, in dem sie feststeckte wie in einem Sumpf.
So
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