0918 - Höllen-Engel
hier einen normalen Menschen vor mir zu haben. Sie stammte aus einer anderen Zeit, einer anderen Welt oder Dimension - wie auch immer.
Der zweite Schuß peitschte auf.
Und wieder hieb die geweihte Kugel haargenau ins Ziel. Der blaue Inhalt verschwand, ich war auch bereit, mein Kreuz hervorzuholen und den Rest damit zu zerstören, aber zuvor reagierte der Höllenengel.
Völlig überraschend löste sich Dan Walcott von ihrem Mund. Er prallte mit den Füßen auf die Bohlen und sackte sofort zusammen. Ich konnte noch erkennen, daß sein Mund nur mehr aus einer blutigen Wunde bestand, aber er lebte.
Cheryl warf sich über ihn, während ich mir die Göttin anschaute, die jetzt augenlos war und auch den größten Teil ihrer alten Kraft verloren hatte.
Sie bewegte den Kopf.
Nickte sie mir zu?
Nein, etwas anderes geschah. Von innen her drang die Wärme, und durch die Poren des Gesteins wehte sie mir auch entgegen. Sehr bald schon war es keine Wärme mehr, sondern eine starke Hitze, ohne daß einer von uns ein Feuer sah.
Die Göttin schmolz zusammen. Der Stein verflüssigte sich. Er wurde zu glühender Lava, und auch das Gesicht blieb nicht mehr so, wie es einmal gewesen war. Es löste sich ebenfalls auf. Auch das Gehörn auf dem Schädel zerfloß und vereinigte sich mit dem heißen Schlamm des Gesichts, der nun über den Hals hinweg auf den Körper zurann, wo es ebenfalls keinen harten Stein mehr gab. Alles an ihr war in Fluß gekommen und breitete sich auf dem Boden als graue Masse aus.
Die Göttin oder der Höllen-Engel war zu einem See geworden. Zäher Brei oder Treibsand blieben als Reste zurück, aber keine Augen mehr und auch kein glattes Gesicht.
Sie würden nicht mehr in das normale Leben eingreifen können, denn gerade noch rechtzeitig war sie gestoppt worden.
Ich ging zur Seite, weil ich von dem Material nicht getroffen - werden wollte.
Erst jetzt sah ich, daß Dan und Cheryl zusammenstanden. Die junge Frau tupfte mit einem Taschentuch die blutigen Lippen ihres Freundes ab, und was sie dabei sagte, stimmte genau.
»Der Fluch ist gelöscht, Dan, es gibt ihn nicht mehr…«
***
Aber es gab noch ihre fünf Vasallen, die natürlich nicht fassen konnten, wie sehr sie letztendlich reingefallen waren. Sie standen da wie Ölgötzen, zumindest vier von ihnen. Der fünfte lag am Boden und jammerte zum Steinerweichen. Durch den Tritt gegen die Wand hatte er sich wahrscheinlich den Fuß gebrochen.
Möglicherweise waren sie auch deshalb so stumm, weil sie einfach nicht überrissen, daß es für sie vorbei war. Sie hatten voll und ganz auf die Göttin gesetzt und mußten nun auf eine Masse starren, die wie allmählich fest werdender Treibsand aussah.
»Und was ist die Erklärung?« fragte Suko.
Sie schwiegen.
»Wo kommt sie her?«
»Das hat Arnold gewußt«, antwortete Splatter.
»Ihn können wir nicht mehr fragen. Der erste Auftrag des Höllen-Engels hat ihm bereits den Tod gebracht. Seid froh, daß wir rechtzeitig genug erschienen sind. So bleibt ihr am Leben…«
»Sie wird wiederkehren!« keuchte Splatter. »Ja, sie kommt zurück. Man kann nicht töten, was Millionen von Jahren alt ist.«
»So alt?« fragte ich.
Er nickte.
»Und wer hat sie gefunden?«
»Arnold.«
»Immer Arnold«, sagte - ich und schüttelte den Kopf. »Er hat nie mit euch darüber gesprochen?«
»Doch, hat er!« meldete sich Dan Walcott mit einer Stimme, die kaum zu verstehen war. Er hatte Mühe, mit seinen blutenden Lippen zu sprechen. »Ich kann es euch sagen, glaube ich. Aber später, alles nur später, bitte…« Es waren die letzten Worte. Plötzlich erfaßte ihn ein Schwindel, und die Beine sackten ihm weg.
Cheryl hielt ihn fest, sonst wäre er zu Boden gefallen. Ich half ihr noch dabei, den Polizisten auf die Bohlen zu betten. Dabei lächelte ich. »Gib gut auf ihn acht, Cheryl. Am besten ein ganzes Leben lang.«
Sie nickte unter Tränen. Für mich war es ein Versprechen…
ENDE
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