0919 - Bücher des Grauens
immerhin scheint das in dieser Stadt eine Art Gesetz zu sein. Also steuerte er auf die Treppe im hinteren Ende des Mittelschiffes zu, die einem Hinweisschild zufolge hinab in die Westkrypta führte, eine unterirdisch gelegene Kapelle.
Er hatte die oberste Stufe kaum erreicht, als er die Kreatur sah!
Sie stand am unteren Treppenabsatz, und ihre schuppige Haut glänzte im Licht der Kerzen, welche den Weg hinab säumten. Es war eines der Fischwesen, die Eusebius schon draußen aufgefallen waren, doch diesmal war etwas anders.
Diesmal war er sich nicht mehr so ganz sicher, dass sie wirklich aus seiner Fantasie entsprungen waren!
Die Gestalt hatte ihn nicht bemerkt; unbeirrt setzte sie ihren Weg ins Innere der Krypta fort. Struttenkötter folgte ihr leise. Als er unten angekommen war, hörte er die Kampflaute.
Vor seinen Augen spielte sich ein wahrhaft unfassbares Schauspiel ab.
Die Krypta war menschenleer - abgesehen von dem seltsamen Fischwesen und einem jungen Mann in Mönchskutte, der vor dem kleinen Altar im hinteren Teil des Raumes stand und sich mit aller Kraft und sichtlicher Verzweiflung im Blick gegen einen Angriff der Kreatur zur Wehr setzte! Keuchend vor Anstrengung ließ er einen Hieb nach dem anderen auf ihren schuppigen Leib niederfahren und wich gleichzeitig gekonnt den spitzen Klauen des Wesens aus. Von Eusebius nahm er keine Notiz.
Atemlos beobachtete der Geologe, der sich hinter einer Säule vor den Blicken der beiden Kämpfenden verbarg, das Geschehen. Es dauerte nicht lange, bis der Mönch seinen Gegner besiegt hatte, doch wenn Eusebius geglaubt hatte, damit alles gesehen zu haben, wurde er im nächsten Augenblick schon eines Besseren belehrt - denn der leblos zu Boden gefallene Leib des Fischmonsters löste sich einfach in Luft auf !
Struttenkötter glaubte seinen Augen kaum. Was immer da gespielt wurde, hatte ganz eindeutig nichts mit Einbildung zu tun. Es war so echt wie die Säule, an die er sich presste. Die Fischwesen waren real! Der Geologe merkte, dass seine Hände zitterten, konnte aber nicht sagen, ob dies aus Furcht oder vor Aufregung geschah. Vermutlich Letzteres, befand er.
Das Wesen war kaum verschwunden, da sank der Mönch zu Boden. Schwer atmend lehnte er sich mit dem Rücken an den Altar und starrte einen Moment lang ins Leere. Wenn Eusebius seinen Gesichtsausdruck richtig interpretierte, lag weniger Erschöpfung als Überraschung auf den Zügen des Mannes. Überraschung und eine Art von Grauen, wie er sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Mit einem leisen Knirschen kam Bewegung in die hintere Wand des Raumes.
Ich fass es nicht, ein Geheimgang! , schoss es Eusebius durch den Kopf. Steine glitten zur Seite und schufen einen Durchgang, aus dem plötzlich ein weiterer, sichtlich älterer Kuttenträger trat. »Benedikt, wo bleibst du denn?«, fuhr der Neuankömmling den anderen an. »Noch ist der Dom für das Publikum geöffnet, da sollten wir nicht zu lange draußen…« Dann stutzte er. »Was ist geschehen?«
Der junge Mann, Benedikt, hob den Kopf und blickte den zweiten Mönch ausdruckslos an. »Es hat angefangen, Rufus«, sagte er leise. »Nach all den Jahren des Wartens und vergeblichen Hoffens. Es ist tatsächlich passiert!«
Rufus machte einen Schritt zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. Seine Stimme klang mit einem Mal hohl. »Was meinst du?«
Mit wenigen Worten beschrieb Benedikt, was Struttenkötter mit eigenen Augen beobachtet hatte, und während er sprach, wich die Farbe aus dem Gesicht des älteren Mönches. »Ich hatte den Slissak gerade besiegt, als du kamst«, schloss Benedikt seinen Bericht. »Wie ich sagte: Es hat angefangen.«
Slissak. Das Wort hallte in Eusebius Geist wider. Es wirkte fremdartig, bedrohlich. So mochte es klingen, wenn ein Pfeil in sein Opfer schlug. Mit einem Mal wurde es dem Geologen zu heiß. Was immer hier unten geschehen war, hatte nichts mit ihm zu tun - und so durfte es auch gerne bleiben. Leise wandte sich Struttenkötter zum Gehen. Er hatte die Treppe jedoch noch nicht erreicht, als sein Fuß gegen ein paar Steine stieß, die auf dem staubigen Boden lagen.
Das klackende Geräusch ließ Rufus und Benedikt herumfahren. Mit einer nahezu unmenschlichen Geschwindigkeit waren sie herbei. Der ältere Mann legte dem Geologen eine Hand auf die Schulter, die wie ein Schraubstock wirkte. »Wo wollen wir denn hin?«, fragte er gedehnt.
»I… ich?«, stammelte Eusebius. »Nirgends, ich sehe mich nur um.«
»Mhm«, machte
Weitere Kostenlose Bücher