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0919 - Bücher des Grauens

0919 - Bücher des Grauens

Titel: 0919 - Bücher des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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Nicoles Begleiter waren hilflose Opfer geworden, Bauern in einem Schachspiel, dessen Regeln sie nicht verstanden hatten. Nici wusste nicht, ob sie ihr Verschwinden - ihren Tod? - ungeschehen machen konnte. Himmel, sie wusste ja nicht einmal, was überhaupt los war. Aber sie würde dieser Sache auf den Grund gehen, und wenn es das Letzte war, das sie tat. Soviel stand fest, und dieser Gedanke allein öffnete in ihr alle Kraftreserven. Er gab ihr, deren Handeln längst mehr von Instinkt denn Willen geprägt war, neuen Schwung. Einen Antrieb.
    Als sie um eine Ecke bog, prallte sie gegen eine schwarze Wand.
    Sofort hob Nicole die Arme und nahm eine Defensivstellung ein. Erst dann sah sie, dass die Wand in Wahrheit der Rücken einer Person gewesen war.
    Madame Claire schrie auf, sichtlich erschrocken ob der unsanften Begegnung, drehte sich ruckartig zu Nicole um und hob drohend das Nudelholz, das sie mit der rechten Hand umklammert hielt. Dann wurden ihre Augen groß. »Mademoiselle Duval! Mon dieu , ich hätte sie fast erschlagen.«
    Nicole ließ die Arme sinken und blickte die Köchin des Châteaus fragend an. »Madame, wo sind Sie denn hergekom…«
    »Haben Sie diese schrecklichen Gestalten gesehen, Mademoiselle?«, fuhr Madame Claire ungerührt fort, als hätte Nicole nichts gesagt. »Ich sage Ihnen: In diesem Haushalt ist man ja einiges gewöhnt - aber das setzt dem Fass zweifellos die Krone auf. Und jetzt begegnen Sie mir. Ich hatte ja schon geglaubt, ich sei die Einzige, der man von der Evakuierung nichts mitgeteilt hat. Seit Stunden schleiche ich bereits durch das Gebäude und habe noch niemanden gesehen - weder William, noch einen anderen der Bediensteten.« Entrüstet strich sie sich über die weiße Schürze, die sie über ihrem schwärzen Kleid trug. »Auch Monsieur Zamorra ist mir noch nicht begegnet, dabei sollte er doch genau wissen, wo sich seine Angestellten befinden. Erst recht in so einer Situation, n'est-ce pas ?«
    Die Stimme der stämmigen Köchin aus dem nahe gelegenen Dorf war fest und sicher, doch sah Nici ein Funkeln in den Augen der älteren Frau, das sie nur zu gut kannte: Claire hatte Angst. Vermutlich wusste sie selbst, dass die Evakuierungsgeschichte, die sie sich zusammengesponnen hatte, um sich das Verschwinden der anderen Hausbewohner und -angestellten zu erklären, mit der Realität nicht übereinstimmte. Und nun weigerte sie sich, diese Erkenntnis zuzulassen, und überspielte ihre Zweifel mit ihrer gewohnten resoluten Fassade.
    »Madame«, setzte Nicole leise an, »es gab keine E…«
    Abermals fiel ihr Claire ins Wort. »Lassen Sie's gut sein, Mademoiselle. Es gibt nichts, was wir mit einer Unterhaltung noch ausrichten könnten. Ich finde, wir sollten sehen, dass auch wir hier verschwinden. D'accord? « Ihre Hände klammerten sich krampfhaft an den Saum ihrer Schürze, und in ihrem Blick lag etwas Flehendes.
    Nicole nickte. »Das sehe ich genauso. Ich war gerade auf dem Weg, den Schutzzauber zu überprüfen. Wollen Sie mich begleiten?«
    »Da fragen Sie noch?«, brauste Madame Claire theatralisch auf, wie es ihre Art war, ergriff Nicoles Arm und zog sie mit sich in Richtung Ausgang.
    Die Welt, die jenseits der Schwelle auf sie wartete, erkannten sie nicht wieder. Fort waren der Garten und die Felder in der Ferne. Fort waren die Büsche und Bäume, die Wege. Und stattdessen…
    »Was, im Namen des Herrn, ist das?« Claire keuchte und hob erschrocken die Hand zum Mund. Auch Nicole war stehen geblieben und starrte ungläubig nach vorn. Vor ihnen lag eine flache Ebene, die aussah, als hätte sie seit Jahrzehnten keinen Tropfen Regen abbekommen. Der Boden war trocken und spröde, und die Luft flirrte vor Hitze. Ein gelblich trüber Himmel hing über der Szenerie und unterstrich deren unwirklich scheinende Atmosphäre noch.
    Nicole blickte auf und sah die Sonne… nur, dass es nicht ihre Sonne war. Mit einer Gewissheit, die sie selbst überraschte, begriff sie instinktiv, dass diese faserige Rundung dort oben, die eher wie ein langsam zerlaufender Camembert wirkte, nicht der Himmelskörper war, der zu diesem Planeten gehörte. Zumindest nicht in der Realität, aus der sie und Madame Claire gekommen waren. Dicke Fäden aus Helligkeit zogen sich von der Kugel herab zum Erdboden, als löse sich das seltsame Gestirn allmählich auf.
    »Mademoiselle, was ist das?«, wiederholte Claire, und jener flehende Unterton war zurück. Die Köchin stand kurz vor einem Zusammenbruch, das konnte Nicole

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