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0919 - Bücher des Grauens

0919 - Bücher des Grauens

Titel: 0919 - Bücher des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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natürlicher Sichtschutz.
    Und tatsächlich: Da war er. Heinrich hatte sich gerade dem Fenster und dem hinter diesem liegenden Schankraum gewidmet, als ihm Johannes Gensfleisch auch schon ins Auge fiel. Der bärtige Handwerker saß auf einem schlichten Holzstuhl an einem abgewetzten Tisch und hatte, obwohl er erst seit wenigen Minuten in der Gaststube war, bereits zwei Krüge vor sich stehen. Zeit ist Geld , erinnerte sich Heinrich an einen der Leitsprüche seines Meisters. Allem Anschein nach zählt dieser Satz auch beim Suff…
    Sie hatten noch nicht lange so da gehockt, als ein knirschendes Geräusch Heinrich herumfahren ließ. Es hatte wie Schritte auf dem staubigen Pflaster der Gasse geklungen, doch konnte der Lehrling niemanden ausmachen, so sehr er sich auch anstrengte. Der Nebel erschwerte die Sicht allerdings beträchtlich.
    »Hast du das auch gehört?«, fragte Josephine leise. »Da ist einer. Irgendwo da vorne im Nebel.« Sie klang beunruhigt, fürchtete wahrscheinlich schon die sozialen Konsequenzen dessen, beim Belagern einer Gaststätte wie dieser erwischt zu werden.
    »Ach was«, wiegelte Heinrich ab. »Das war vermutlich nur eine Katze.« Vernünftige Worte, und dennoch spürte er instinktiv, dass sie nicht zutrafen. Irgendjemand war tatsächlich da vorne, und obwohl Heinrich keinerlei Grund zu dieser Vermutung hatte, ahnte er doch, dass dieser Jemand jetzt in diesem Augenblick zu ihm und Josi herübersah. Irgendjemand… oder irgendetwas . Und mit der gleichen Sicherheit wusste er, dass der unbekannte Beobachter sie auch durch den mittlerweile nahezu omnipräsenten Nebel hindurch ausmachen konnte.
    Ein Räuspern durchschnitt die Stille, die über der abendlichen Gasse lag, und kam scheinbar aus dem Nichts. Josephine drängte sich an Heinrich, bis dieser ihren Herzschlag spürte. Zitternde Finger klammerten sich an seinen Arm.
    Dann sahen sie ihn. Eine dunkle Gestalt schälte sich aus den hellen Schwaden und trat ins Licht, das aus den Fenstern des Gasthauses auf die Gasse fiel. Für einen kurzen, absurden Moment glaubte Heinrich, rot glühende Augen in einem Gesicht aus Finsternis zu sehen, doch schon in der nächsten Sekunde schalt er sich in Gedanken einen Narren, als die Gestalt gänzlich in sein Blickfeld kam.
    Der Fremde war etwa einen Meter achtzig groß, von männlichem Wuchs und muskulöser Statur, sofern man letzteres durch den dicken Umhang, den er trug, überhaupt erkennen konnte. Das Kleidungsstück umhüllte nahezu seinen gesamten Körper und war mit einer Art Schnur vor dem Hals des Trägers zugebunden worden. Eine Kapuze gehörte dazu, die ihm tief ins Gesicht fiel und seine Züge absolut unkenntlich machte. Wie ein Schemen , dachte Heinrich und merkte, wie ihm ein irrationaler Kälteschauer über den Rücken kroch.
    Oder… lag das an etwas anderem?
    Aus dem Augenwinkel registrierte er, wie Josephine zu zittern begann, als wäre sie von einem spontanen Wintereinbruch überrascht worden. Ihr Gesicht war blass geworden, und ihre Lippen liefen langsam blau an - sie fror bitterlich. Und das, so befand Heinrich nach einem Blick auf seine eigenen, von einer Gänsehaut überzogenen Arme, lag nicht an dem unheimlichen Auftritt des fremden Zechers. Es war wirklich kalt geworden.
    Ohne Heinrich und Josephine eines Blickes zu würdigen, trat der Verhüllte auf die Tür des Weinhauses zu und öffnete sie.
    ***
    Die Flüssigkeit im Inneren des Weinkruges glitzerte silbern im diffusen Licht der Petroleumlampe an der Wand, und Johannes Gensfleisch dachte sich nicht zum ersten Mal, wie tröstlich er diesen Anblick fand. Der Wein war ein Schatz, das Gold Rheinhessens, und zu seinen besten Eigenschaften gehörte die Fähigkeit, Vergessen zu schenken. Zumindest auf Zeit.
    Dankbar nahm er einen tiefen Zug des Trauben-Ambrosias und spürte, wie das kühle Nass langsam seine durstige Kehle hinab rann, um in seinem Leib seinen Zauber zu wirken. Und in seinem Geist.
    Dann hörte er, wie sich die Tür zum Schankraum öffnete und wieder schloss.
    »Verzeiht, meine Herren, aber ich suche nach einem Mann namens Gensfleisch.«
    Johannes hatte noch nicht einmal aufschauen können, als die fremde Stimme bereits erklang - und ausdrücklich nach ihm fragte! Überrascht hob er seinen Blick von der roten Flüssigkeit und sah über den Rand des Weinkruges zum Eingang. Dort stand, von den wenigen Lichtern nur notdürftig erhellt, eine Person, die in einen dunklen, schlichten Kapuzenumhang gehüllt war. Ihr Kopf bewegte

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