092 - Der Herr des Schreckens
Meinst du, das läßt sich ermöglichen, Mathieu?“
„Warum nicht, Claude? Ich will mich gleich morgen Vormittag darum kümmern. Ich gebe dir im Institut Bescheid. Kannst du dir einen Reim auf die Sache machen?“
„Es handelt sich um einen Golem. Der Sage nach soll es dem Rabbi Low ben Bezalel in Prag 1580 gelungen sein, ein aus Ton geformtes Geschöpf durch Zaubersprüche zu beleben. Ich bin davon überzeugt, daß auf dem Zettel in der Kapsel Zauberformeln und Sprüche standen. Welche finstere, abgründige Magie es allerdings zustande gebracht haben kann, einen Golem zu schaffen, das kann ich dir auch nicht erklären. Aber wie schon der Dichter sagt: Es gibt Dinge, die sich unsere Schulweisheit nicht träumen läßt. Als Archäologe, Ethnologe und Parapsychologe bin ich schon auf Dinge gestoßen, die durch die Vernunft und den sogenannten gesunden Menschenverstand nicht zu erfassen waren.“
„Das mag sein, wie es will. Sicher ist jedenfalls, daß dieser Taschmosch und seine Kreaturen es auf mich abgesehen haben. Kannst du mir einen Rat geben, was ich tun soll, Claude?“
Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung überlegte lange.
„Nein“, sagte er dann. „Dazu weiß ich zu wenig über die Hintergründe. Wenn es stimmt, daß Taschmosch aus Tibet stammt, hast du es mit Lama- oder Schamanenzauber zu tun, Mathieu. Und der ist so gut wie gar nicht erforscht. Es soll heute noch verborgene Bergklöster geben, in denen ungeheuerliche Dinge geschehen.“
„Ja ja, aber was kann ich denn machen? Soll ich mich einfach hinsetzen und warten, bis Taschmosch wieder zuschlägt? Wenn ich nur daran denke, wie ich meine Zähne in den Arm des Wesens grub, das mich ins Taxi zerren wollte, überläuft es mich kalt vor Grauen und Ekel. Das war kein Fleisch und Blut, in das ich biß. Eine kalte, quallige Masse, von einer scheußlichen, wäßrigen Flüssigkeit durchpulst, umgab die Knochen und Muskeln des Wesens.“
„Das einzige, was ich vorschlagen kann, ist Taschmosch zu verhaften und zu verhören.“
„Das ist einfach gesagt. Aber dazu müßte man ihn erst einmal haben.“
Professor Dulac merkte, daß er von seinem Kollegen keine Hilfe erwarten konnte. Er wollte das Gespräch beenden, doch sein Gesprächspartner, auf sein Hobby und seine Leidenschaft, die Parapsychologie angesprochen, fand so schnell kein Ende.
Er erzählte Dulac eine Menge über tibetanische Bergklöster. Als die Chinesen Tibet 1950 gewaltsam annektierten, fanden sie in verborgenen Berghöhlen- und klöstern Dinge, von denen nur Gerüchte in die übrige Welt und besonders den Westen durchsickerten. Schreckliche Geheimnisse wurden aufgedeckt.
Die Grenztruppen, aufgeklärt, fortschrittsgläubig und durch und durch von der Richtigkeit der Thesen des Kommunismus durchdrungen, bemühten sich nach Kräften, die Zeugnisse jahrtausendealter Zauberkunst und Magie zu vernichten. Bei einem großen Teil war es ihnen gelungen, und die wenigen Geheimberichte, die in den Westen gelangten, hatten in eingeweihten Kreisen Unglauben, fassungsloses Staunen und Entsetzen hervorgerufen.
Professor Dulacs Kollege war davon überzeugt, daß die Rotchinesen noch lange nicht alles entdeckt und zerstört hatten. In den tibetanischen Felsmassiven des Himalaya und des Kuenlun-Gebirges lauerten noch viele Geheimnisse und Schrecken, von denen die Welt nichts ahnte.
„Nimm nur die Sage vom verfluchten Kloster der Schwarzen Lamas“, sagte der Parapsychologe am Telefon. „Irgendwo in einer riesigen Berghöhle im Himalaya-Gebiet soll sich von der Außenwelt abgeschlossen und in ewiger Dunkelheit ein Lamakloster befinden. Ein mächtiger Magier und Zauberer, der schreckliche Lama Chandar-Chan, hat im Jahre 930 nach Christus den Orden der Schwarzen Lamas begründet. Das Kloster soll auf den Ruinen uralter Gebäude errichtet worden sein, älter als alle menschlichen Kulturen. Unter dem Kloster in unterirdischen Höhlen sollen sich Dämonen, Ghule und Geschöpfe des namenlosen Grauens befinden, sowie monströse Kreaturen, die mit keinem Lebewesen von dieser Welt etwas gemein haben, und die seit Äonen in Hunger und Wahnsinn schreien.“
Normalerweise hätte der Professor über so etwas gelacht. Doch nach dem, was er an diesem Tag erlebt hatte, war ihm das Lachen über unbegreifliche Dinge gründlich vergangen.
„930 nach Christus, das ist lange her“, sagte er. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß dieser Lamaorden heute noch bestehen soll.“
„Und doch soll es so
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