0920 - Mandragoros Alptraum
hier nichts geschehen. Wir standen in der dumpfen Luft, aber ich wußte, daß wir richtig gehandelt hatten und so etwas wie einen Erfolg würden erreichen können.
Wer in dieser Kirche perfekt geschnitzte und auch verzierte Bänke vermutete, lag falsch. Hier hatten einfache Menschen auch einfache Sitzgelegenheiten gefertigt. Und dieses Holz wurde vom blassen Licht aus der Dunkelheit geholt.
Schon beim ersten Auftreffen sahen wir es. Das Holz hatte an verschiedenen Stellen eine andere Farbe bekommen. Es schimmerte ölig, es war auch leicht grün geworden, aber nicht durch irgendwelche Verwitterungen, der Grund war einfach und lag auf der Hand.
Aus der Tiefe des Bodens hatte sich etwas nach oben gearbeitet, und mir kam der Gedanke, daß es ein ganzer Dschungel gewesen sein mußte, denn es gab keine Bank, die von den lianenartigen Gewächsen verschont geblieben wäre.
Mir stockte der Atem, während Bill die Luft ausstieß. »Hier also auch«, keuchte er, während er den Strahl beobachtete, den ich von einer Seite zur anderen schwenkte, um so viele Bänke wie möglich zu erfassen.
Sah man es positiv, so mußte man zugeben, daß die Natur es geschafft hatte, sich verlorenes Terrain zurückzuholen.
Sie breitete sich wieder aus, sie nahm alles in Beschlag. Sie würde es in sich selbst integrieren, und das Holz würde allmählich verwittern und dann verfaulen.
Bisher war der Lampenstrahl noch nicht bis zum Altar vorgedrungen. Ich hob meinen linken Arm weiter an. Genau dort befand sich das eigentliche Ziel, das Bill und ich zur selben Zeit sahen.
»Wahnsinn!« keuchte mein Freund.
Er hatte recht damit, denn der Altar sah nicht so aus, wie wir ihn kannten. Er hatte sich völlig verändert und war sogar unkenntlich geworden.
Die Masse der Dschungelpflanzen hatte ihn kurzerhand überwuchert, um zum Ziel zu kommen. Sie hielten den Altar umschlungen wie eine Kostbarkeit.
Aber das war nicht alles.
Als ich den Lampenschein auf den Mittelpunkt richtete, da erkannten wir diese rötlichgrün schimmernde Pflanzenmasse, die ihren Platz dort gefunden hatte.
Aus der Distanz wirkte sie wie eine riesige Menge Schleim, die so etwas wie einen rechteckigen und oben abgeflachten Kopf bildete, in dem wir auch ein Gesicht sahen.
Ja, das waren Augen, da war eine Nase, da war sogar ein Mund vorhanden. Sehr groß, drei- oder viermal so mächtig wie bei einem anderen Menschen.
»Das Gesicht, John…«
Ich nickte, weil ich genau wußte, was mein Freund damit hatte sagen wollen.
Wir kannten es beide, auch wenn es jetzt vergrößert, eckig und zugleich verzerrt war.
Es gehörte Oliveiro, dem Pfarrer!
***
In diesem Augenblick vergaßen wir die drei Köpfe oder Wesen, jetzt interessierte uns nur dieser Geistliche, der seine Kirche auf eine Art und Weise beherrschte, wie wir es noch nie zuvor erlebt hatten.
Wenn man dem Satz glauben darf, daß Mensch und Natur eins sind, dann traf das hier bei Oliveiro genau zu.
Er, der Mensch, und die Natur waren tatsächlich eine Verbindung eingegangen. Es war zu einer für uns nicht erklärbaren Symbiose gekommen, aber wir wußten zugleich, daß so etwas nicht grundlos geschah. Auch da gab es Gesetze.
Ich stieß die Luft aus. Es hatte wirklich gedauert, bis ich wieder normal denken konnte, und auch das Zittern des weißgelben Lichtstrahls hörte auf.
»Begreifst du das?« fragte Bill.
»Noch nicht…«
»Aber er ist es doch – oder?«
»Das ist Oliveiro.«
»Okay, dann können wir nur hoffen, daß er uns auch Rede und Antwort steht.«
Bill hatte den Satz kaum ausgesprochen, da bewegte sich der Mund in diesem so veränderten und unglaublichen Gesicht, und die Stimme des Pfarrers begrüßte uns mit Worten, die uns beide erschaudern ließen.
»Willkommen in Mandragoros Alptraum!«
***
Susa konnte nicht glauben, was er erlebte. Es war einfach unwahrscheinlich, daß eine Pflanze ihn besiegen konnte. Aber sie hatte sich um seinen Hals geschlungen, und er spürte auch, wie sich eine zweite um seine Beine drehte, um ihn von den Füßen zu holen. Diese zweite Schlinge hatte sich nicht so fest gedreht, zumindest kam es ihm dort nicht so vor, weil sie die nackte Haut nicht berührte. Wichtig für den Mann war es trotzdem, sie abzureißen.
Er hob die Arme an, und seine Hände glitten über diese glatte Masse hinweg. Die Finger suchten verzweifelt nach einem Halt, in den sie hineingreifen konnte, aber da war nichts. Immer wenn er zupacken wollte, rutschten die Hände ab.
Keiner half ihm.
Vicenca
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