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0920 - Welt der Stille

0920 - Welt der Stille

Titel: 0920 - Welt der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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auf. Vergebens. Hilflos musste er zusehen, wie die junge Frau, die so unerwartet in den Raum geplatzt war, vor seinen Augen zu grauweißen Schwaden wurde. Sie lösten sich auf, schnell und spurlos. Und mit ihnen verschwand auch die bedauernswerte Frau aus der Wirklichkeit.
    Wie damals in Trier , dachte Zamorra voller Sorge und Mitgefühl. Wie bei Terticus. Er wusste genau, was da geschah, wusste, was Dandrono mit der ungeliebten Zeugin seines Tuns machte: Er ließ sie in das Nebelreich verschwinden, in dem er schon den römischen Kaiser gefangen gehalten hatte. In das Reich der Titanen. Terticus war klug und stark genug gewesen, dort am Leben zu bleiben - allen Widrigkeiten und Gefahren zum Trotz -, bis er seine Erlösung fand und von Zamorra befreit worden war. Aber ob diesem Mädchen ähnliches Glück beschieden war? Vor seinem geistigen Auge sah Zamorra sie schon in den Tentakeln der Titanen und den Klauen der Slissaks, deren an Fische erinnernden Dienerkreaturen…
    Das grauenvolle Schauspiel dauerte nur Sekunden, und doch war etwas anders. Dandrono… schwankte! Zamorra konnte es kaum benennen, aber er hatte das instinktive Gefühl, dass die übersinnliche Aktion den Finsteren mehr Kraft gekostet hatte, als es noch in Trier der Fall gewesen war, wo auch Zamorra selbst in den zweifelhaften Genuss dieser Form des Ort-zu-Ort-Transports gekommen war.
    Vielleicht ein weiterer Hinweis darauf, dass es mit dir nicht mehr zum Besten bestellt ist? Mit unverhohlenem Zorn im Blick starrte er Dandrono an. Du läufst nicht gerade auf hundert Prozent, oder?
    »So«, sagte das Wesen schließlich, schloss die Tür zur Straße und wandte sich abermals Gensfleisch zu. »Und jetzt weiter. Wir haben noch viel vor.« Irrte er sich, oder hörte Zamorra da ein leises Keuchen?
    Wenn er nur seine Zeitringe hätte, dachte der Professor abermals. Dann ließe sich vielleicht noch einiges von dem korrigieren, was gerade schief lief. »Sagen Sie, Dandrono«, sagte er fordernd, »was ist eigentlich aus meinen Ringen geworden? Haben Sie die vielleicht zufällig gesehen?«
    »Gesehen ja, behalten nein«, antwortete der Finstere und winkte beiläufig ab. »Ich habe in Trier gesehen, was Sie und Ihresgleichen mit einfachen Amuletten und Kristallen zu leisten imstande sind. Glauben Sie wirklich, ich ließe Ihnen da auch nur den Funken einer Möglichkeit, auf etwaige Ausrüstungsstücke zurückzugreifen? Vergessen Sie's, Zamorra. Sie sind wehrlos, nehmen Sie das einfach hin.«
    Dann beugte er sich vor und reichte Gutenberg einen weiteren Bogen Papier.
    ***
    In der Weinstube ein paar Straßen weiter saß Heinrich Delorme wie auf glühenden Kohlen. Eigentlich war er gekommen, um sich Mut anzutrinken, doch hatte ihn längst die Courage dazu verlassen, den seit Stunden vor ihm stehenden Krug zum Mund zu heben. Eine klassische Zwickmühle: Das, was er zu tun beabsichtigte, war eigentlich zu wichtig, als dass er es alkoholisiert erleben wollte. Andererseits fehlte ihm aber auch der Mumm, es ohne diese Art von Hilfe zu versuchen.
    Ich bin doch ein dämlicher Esel , dachte der Lehrling nicht zum ersten Mal an diesem Abend. Was habe ich schon groß zu befürchten? Immerhin geht es hier um Josi. Natürlich wird sie Ja sagen.
    Oder?
    Schon seit Wochen ging er mit dem Plan schwanger, endlich Nägel mit Köpfen zu machen und Josephine vor den Altar zu führen. Und genauso lang schwankte er bereits zwischen Zuversicht und Zweifeln. Zwar waren die schöne Winzertochter und er - heimlich - längst verlobt, und dennoch…
    Früher am Nachmittag, in einem Moment der Schwäche, hatte Heinrich seinem Meister von seinen Absichten berichtet. Gensfleisch hatte gratuliert und sich erfreut gezeigt, aber dann hatte er etwas getan, womit Heinrich nie gerechnet hätte: Er hatte ihnen Ringe geschenkt.
    »Nimm du sie mit«, hatte Gensfleisch gesagt. »Ich habe keine Verwendung dafür. Sie sind vielleicht nicht das Passendste für die Gelegenheit, aber es sind Ringe. Und sie dürften ihren Zweck erfüllen, bis du genug gespart hast, um sie gegen vernünftigere Exemplare einzutauschen. Ich bin mir sicher, dass deine Josephine das versteht.«
    Würde sie das wirklich? Und würde sie tatsächlich Ja sagen? Heinrich Delorme öffnete die Hand und blickte verträumt auf die beiden kleinen Schmuckstücke, die darin lagen. Auf die Ringe, von denen einer einen blauen, der andere einen roten Stein besaß.
    ***
    Mainz, 2009
    Be careful what you wish for…
    Eusebius Struttenkötters Atem

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