0923 - Die Henkerin
ein Taxi hatten wir verzichtet und waren in die U-Bahn gestiegen. Auch in ihre Wagen hatte die Hitze Einzug gehalten. Zum Glück gab es den Fahrtwind.
Die meisten Zeitschriften hatten wir der Bedienung geschenkt, und nur eben die eine behalten, die ich unter dem Arm trug, weil sich Godwin schon schämte.
Er hatte sich eben nicht mit allen modernen Zeichen unserer Zeit abfinden können, was auch wirklich nicht schlimm war. Es mußte eben auch andere Menschen geben.
Die Oberwelt empfing uns mit der gleichen schwülen Hitze, aus der wir gekommen waren. An Tagen wie diesen machte überhaupt nichts Spaß. Da schien das normale Leben im Zeitlupentempo abzulaufen. Keiner bewegte sich schneller als unbedingt nötig, und allen klebte die Kleidung am Körper.
Wir sahen die Themse, die wie flüssiges Blei dahinkroch, bestrahlt von einer erbarmungslosen Sonne, und die Ozonwerte stiegen bedrohlich weiter.
Ich schaute noch einmal ins Impressum, wo die genaue Adresse stand. Das Haus gehörte zu den modernen. Es war nicht so hoch, wie die anderen, und hatte nur vier Etagen. Roter Klinker, Fenster, die abgedunkelt waren, ein Parkplatz vor dem Haus, auf dem die Autos in der Sonne brieten. Selbst vom Wasser her erreichte uns kein kühler Windzug.
Der Bereich des Eingangs wurde durch ein vorgebautes Glasdach bedeckt. Es schützte wohl vor Regen, aber nicht vor Sonne, und wir beeilten uns, die Tür aufzustoßen. Die Schilder außen an der Hauswand hatten wir bewußt übersehen. Wir gerieten in eine breite Halle und schauten gegen das Pult eines Portiers, der hinter seinem Arbeitsplatz hockte wie ein Commander in seiner Raumkapsel.
Er starrte auf einen Monitor, der auf seiner Seite in der leicht abgeschrägten Konsole eingebaut war.
Uns nahm er zunächst bewußt nicht zur Kenntnis.
Der Unterschied zwischen draußen und drinnen konnte nicht drastischer sein. Vor dem Haus die brütende Hitze, hier in der Halle eine kalte, mamorne Pracht. Helle Wände, von Fenstern unterbrochen, ein Boden, der ebenfalls aus Marmor bestand, aber dunkler war. Sitzbänke mit Blumenrabatten sahen wir ebenso wie einen breiten Treppenaufgang und die drei Türen der Lifts.
Ein blondes Wesen stöckelte die Treppe hinunter, und jeder Tritt mit den hohen Absätzen klang wie ein Schuß. Das Wesen trug ein luftiges Etwas aus Stoff. Es legte dem Portier einen dicken Briefumschlag hin.
»Danke, Cindy«, sagte der Mann, drehte sich um und glotzte ihr nach, als sie die Treppe wieder hochging, wobei sie viel Bein zeigte.
»Schönen Tag noch«, flüsterte Cindy zurück.
Wir standen bereits vor seinem Kommandostand und mußten uns zunächst räuspern, um überhaupt seine Aufmerksamkeit zu erregen.
Dann schaute er hoch.
Er war noch jung und trug das braune Haar glatt nach hinten gekämmt. Mit Gel hatte er nicht gespart. Sein blaues Hemd zeigte keinen einzigen Schweißflecken, was bei uns anders war, was er natürlich merkte und deshalb auch die Nase rümpfte. »Was möchten Sie?« fragte er.
»Zum Star-Verlag«, klärte ich ihn auf.
Er runzelte die Stirn. »Sind Sie angemeldet?«
»Nein.«
»Wen darf ich dann melden?«
»Wir können auch ohne Anmeldung hoch«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf und bedachte uns wieder mit dem Was-seid-ihr-wer-bin-ich-Blick. »Nein, das ist nicht möglich. Ich habe die Pflicht, jeden anzumelden.«
»Dann tun Sie es.«
»Ihre Namen?«
Wir klärten ihn auf.
Er griff zum Telefon und drückte auf einen Knopf an seinem Terminal. Mit verdrehten Augen schaute er wieder zur Decke, um uns zu zeigen, wie gleichgültig wir ihm waren. Mit einer Hand klopfte er auf seine Konsole, wartete auf die Verbindung und wunderte sich, daß sie nicht zustande kam.
»Klappt's nicht?« fragte ich und grinste ihn an.
Er schaute böse zurück. »Ich versuche es noch einmal.« Diesmal wählte er eine andere Nummer.
Auch jetzt hatten wir Pech, denn beim Star-Verlag hob keiner der Mitarbeiter ab.
Der Portier wurde nervös. »Das verstehe ich nicht«, sagte er und hob die Schultern. »Aber es ist auch nicht mein Bier.«
»Was heißt das?«
»Sie sind nicht da. Die Mitarbeiter sind weg. Vielleicht zu Fototerminen, was weiß ich.«
»Aber jemand muß doch Telefondienst haben.«
»In der Regel schon. Vielleicht haben sie auch freigemacht. Das Wetter ist eben danach. Tut mir leid für Sie. Kommen Sie später oder morgen noch einmal wieder.«
»Nein«, sagte ich.
Er schwieg. Dann glotzte er mich an, und seine Augen bekamen einen fischartigen
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