0924 - Das Totenbuch
rutschte seine Hand vom Buch ab. Arm und Hand prallten zu Boden wie ein Stück Holz.
Plötzlich kam mir die Luft noch stickiger und träger vor. Ich vernahm das Summen der Fliegen überdeutlich, zugleich empfand ich die Stille als schlimm.
Diese Ruhe war mir nicht unbekannt. Dennoch wirkte sie fremd, war aber von einer gewissen Ehrfurcht durchzogen, die der Tod mitbrachte. Ich hatte bisher gekniet, stemmte mich wieder in die Höhe und schaute mir den Toten nicht mehr an. Statt dessen drehte ich den Kopf und kümmerte mich um das, was auf dem Tisch lag und so ungemein wertvoll für mich werden sollte.
Der Mann hatte von einem Totenbuch gesprochen. Ich sah das Buch mit dem dunklen Einband, aber ich sah noch mehr. Es lag auf einer roten Decke, als hätte es eingepackt werden sollen, wobei derjenige, der es einpackte, gestört worden war.
Von wem?
Vom Schatten, vom Begleiter. Zwei normale Worte und trotzdem Begriffe, mit denen ich in diesem Zusammenhang nicht viel anfangen konnte, zumindest nicht, was diesen Toten hier anging.
Ich kannte seinen Namen nicht. Ich war einfach meinem Gefühl gefolgt, auch das nicht ohne Grund, denn ein geheimnisvoller Hinweis hatte mich zu diesem Haus geführt.
Wäre er nicht von meinem Freund Bill Conolly gekommen, hätte ich mir die Sache auch überlegt, so aber war ich losgetigert, während Bill zu Hause bleiben mußte. Er lag im Bett und fluchte sich die Stimme aus dem Hals, weil er unter einer Sommergrippe litt.
Ich hatte mich dann sofort auf den Weg gemacht und meinem Freund und Kollegen Suko eine Nachricht hinterlassen, wo ich zu finden war. Dieses Haus war ein Labyrinth. Wenn man es betrat, bekam man automatisch das Gefühl, in eine Falle zu gehen. Mich störte nicht der Geruch aus der Küche, es war vielmehr das Ende dieses hinteren Anbaus und auch die Umgebung des Speichers hier.
Das Buch lag noch immer vor mir. Zugeklappt, natürlich. Ich nahm es noch nicht hoch und strich mit der rechten Handfläche über den Einband hinweg.
Er fühlte sich hart und zugleich weich an, als wäre er mit dünnem Stoff bespannt worden. Meine Hand wanderte weiter, ich wollte es anheben, um es aufzuschlagen, aber etwas bannte mich plötzlich auf der Stelle.
Ich hielt den Atem an.
Es war plötzlich einiges anders geworden in meiner unmittelbaren Umgebung. Ein jeder kennt wohl das Gefühl, nicht mehr allein zu sein, und dieses Feeling erwischte auch mich.
Da war jemand.
Ich ließ das Buch liegen, trat einen Schritt zur Seite, blieb aber noch am Tisch stehen. Der Stuhl und der daneben liegende Tote befanden sich jetzt in meinem Rücken.
Wer kam? War schon jemand da? Das Knarren einer Tür hatte ich ebensowenig gehört wie Schritte.
Einbildung?
Der Schweiß hatte sich auf mein Gesicht gelegt. Durch die lukenartigen Fenster drangen blasse Lichtbahnen. Mondlicht? Unzählige Staubpartikel schimmerten darin.
Allein, nicht allein?
Ich drehte mich nach links und sah die Dachschräge. Dunkle, kantige Balken, oft durch Spinnweben miteinander verbunden. Und plötzlich entdeckte ich die Bewegung.
Jemand war da.
Jemand warf einen Schatten!
Der Mann hatte recht gehabt. Es gab ihn, diesen Begleiter oder Schatten. Für mich war er ebenfalls sichtbar, wie er lautlos über die Schräge hinweghuschte und allmählich Konturen annahm.
Eine menschliche Gestalt, zweifellos. Kopf und Körper waren deutlich zu erkennen. Ebenso die Hand mit dem langen, spitzen Gegenstand, der aus der Faust hervorschaute.
Ein Messer, ein Schattenmesser. Wobei ich davon ausging, daß diese Klinge auch den Mann am Boden getötet hatte. Anders konnte es nicht gewesen sein, das stand fest.
Wie bekämpft man einen Schatten?
Ich grinste, als meine Hand unbewußt zur Beretta griff. Das war wohl nicht die richtige Lösung, denn auch geweihte Silberkugeln schafften es nicht, einen Schatten zu töten oder zu zerreißen. Da mußte ich mir schon etwas anderes einfallen lassen.
Ich wartete und schaute dem Schatten hinterher, der sich noch immer an der Wand bewegte. Er war einfach da, und es gab kein Pendant, das ihn hätte entstehen lassen können.
Noch wanderte er. Ein Ziel war nicht auszumachen, doch er wußte genau, wohin er wollte.
Wir standen uns plötzlich gegenüber. Ich schaute zu, wie er seinen rechten Arm anhob und diese Bewegung machte auch das Messer mit der langen und etwas nach oben gebogenen Klinge mit.
Ein Messer, das stimmte. Aber eines, das nur als Schatten zu sehen war. Kein Funkeln, keine scharfen Seiten. Es
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