0926 - Mörderische Lockung
stecke, denke ich daran. Ansonsten nicht.«
»Das ist eben das Vorrecht der Jugend.«
»Die liegt auch längst hinter mir.«
»Es ist alles relativ.« Die Horror-Oma griff zur Kanne und schenkte die Tasse erneut voll. »Weißt du, Jane, wir alle können die Augen nicht davor verschließen, und wenn ich die letzten Jahre einmal Revue passieren lasse, so habe ich doch viel Glück gehabt. Es ist schon überstrapaziert worden. Mich hätte es des öfteren erwischen können. Bisher ist nichts geschehen, aber darauf kann ich mich natürlich nicht verlassen. Irgendwann wird der Strick reißen.«
»Noch ist er fest geknüpft.«
Sarah hob die Schultern. »Weiß man's?«
»Hör doch auf!«
»Ist schon gut, Kind. Lassen wir an diesem Morgen das Thema und kümmern wir uns um andere Dinge, nämlich um dich.«
»Warum gerade darum?«
»Ich sehe dir ebenfalls an, daß du dich nicht gerade wohl fühlst, meine Liebe.«
»Ja, das stimmt.«
»Was tun wir gegen die Langeweile?«
Jane hob die Schultern.
»Sollen wir die Koffer packen und eine kleine Reise unternehmen?«
»Denkst du an einen Last-Minute-Flug?«
Die Horror-Oma hob beide Hände. »Auf keinen Fall. Ich dachte eher an eine Kreuzfahrt in den Norden. In Richtung Pol, wo es kühler ist. Wäre das nicht was?«
Jane überlegte. »Warum eigentlich nicht?« fragte sie nach einer Weile.
»Da müßten wir uns mal erkundigen.«
»Morgen.«
»Ah!« Jane mußte lachen und schaute dabei in Sarah Goldwyns verschmitzt lächelndes Gesicht. »Du hast also schon damit begonnen, einige Vorbereitungen zu treffen.«
»Nein, auf keinen Fall so direkt. Ich habe noch nichts bestellt, sondern nur Prospekte gewälzt. Auch ich habe Augen im Kopf, Jane. Auch ich habe gesehen, wie du gelitten hast. Hier untätig herumzusitzen, ist nichts für dich. Eine Kreuzfahrt, auch wenn sie nur zehn Tage dauert, würde uns schon ablenken, und wir brauchen ja nicht unbedingt zu zweit zu bleiben.«
»Denkst du an John?«
»Ja. Urlaub steht ihm doch zu. Er muß mal ausspannen und kann nicht immer nur durch die Gegend jagen.«
»Hast du schon mit ihm darüber gesprochen?«
»Nein.«
Jane schaute Lady Sarah fest ins Gesicht. »Wirklich nicht?«
»Ich schwöre es.«
»Dann ist es gut.«
»Ich dachte nämlich, daß du es übernehmen könntest. Oder hast du keinen Nerv?«
»Das weiß ich nicht. Mir ist diese Idee noch nicht gekommen. Aber einen Versuch können wir ja starten.«
»Ob es Sinn hat?«
»Frag ihn, dann wirst du es wissen.«
»Gut, mache ich.« Jane griff zur Kanne und goß frisch gepreßten Orangensaft in das Glas. Sie hatte die Kanne soeben wieder auf den Tisch gestellt, als sie wie zufällig aus dem Fenster schaute und jemand durch den Vorgarten kommen sah.
Auch Lady Sarah hatte den Mann gesehen. »Oh, da ist ja unser Briefträger.«
Jane runzelte die Stirn. »Den kenne ich gar nicht. Ist er neu?«
»Nein, das nicht. Es ist nur die Urlaubsvertretung für den alten.«
»Ach so.«
Der Mann ging bis zur Tür. Neben ihr, an der Außenmauer des Hauses, war der Briefkästen, in dem die Post verschwand. Beide Frauen hörten, wie die Klappe wieder zufiel. Wenig später sahen sie den Rücken des Briefträgers, der den Weg wieder zurückging. Auch er trug seine »Sommeruniform«, ein Hemd mit kurzen Ärmeln.
»Soll ich nachschauen?« fragte Jane.
Lady Sarah winkte ab. »Später. Was kann das schon sein? Reklame, die keiner will. Rechnungen, die einen Menschen ärgern. Vielleicht eine Einladung.«
»Wer sollte uns einladen?«
»Firmen, die auf irgendwelchen Fahrten Dinge an den Mann oder die Frau bringen, die niemand braucht.«
Jane mußte lachen. Es klang herzerfrischend. Zum ersten Mal an diesem Tag. »Du bist aber heute in einer Superform, Sarah, wirklich. Das muß man dir lassen.«
»Meinst du?«
»Klar. Und wer so gesund oder in Form ist, der sollte wirklich nicht ans Sterben oder an den Tod denken.«
»Im Prinzip hast du recht.«
»Ich schaue mal nach.«
»Tu das.«
Jane, die wegen der Hitze nur noch knappe Shorts und ein T-Shirt trug, ging barfuß zur Haustür. Als sie ins Freie trat, wurde sie von der Hitze fast erschlagen. Jane schloß den Briefkasten schnell auf, entnahm die Post, drückte die Klappe wieder zu und trat rasch in die relative Kühle zurück.
»Draußen hältst du es schon jetzt nicht aus«, kommentierte sie, als sie die Küche betrat. »Da haut dich die Hitze um.«
»Kann ich mir denken.«
Jane hatte sich gesetzt und die Post auf den Tisch gelegt.
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