0926 - Mörderische Lockung
Menschen dann dastehen und sich fragen, was sie gemacht haben. Warum haben wir uns so verhalten? Die Antwort können sie sich jetzt schon geben, nur will sie kaum einer wissen, und das finde ich verdammt schlimm.«
Jane Collins wußte, daß die Horror-Oma ein wahres Wort gesprochen hatte. Es gab auch keine Gegenargumente. Man mußte sich eben darauf einstellen, daß die Sommer heißer wurden und die Winter milder. Die Meere erwärmten sich, das Eis an den Polen schmolz, und es bestand die Gefahr, daß einige Inseln in den Weltmeeren schon in wenigen Jahrzehnten von der Landkarte verschwunden waren. Auch einige Küstenstädte in Europa.
Was Jane wußte, war auch vielen anderen bekannt, vor allen Dingen auch Politikern, aber gemeinsam handeln, sich zur Lösung der Probleme aufzuraffen, das schafften sie nicht. Investitionen in die Zukunft waren weniger beliebt als der momentane politische Erfolg.
»Es ist schlimm«, sagte Jane, »aber wo sollen wir anfangen? Bei den Franzosen, die Atombomben im Pazifik explodieren lassen und den Meeresgrund verseuchen und Atolle dem Untergang weihen?«
»Zum Beispiel.«
»Was nutzen Proteste?«
»Bei denen nicht viel, denke ich mir.« Sarah griff zur Tasse und trank den Tee in kleinen Schlucken, während sie aus dem Fenster schaute.
Die Sonne stand noch nicht so, als daß sie ihre Strahlen in den Raum hineingeschickt hätte. Sie glitten noch daran vorbei und malten sich auf der Hauswand ab.
»Möchtest du dir denn in dein Schlafzimmer eine Klimaanlage einbauen lassen?« fragte Jane.
»Gott bewahre.« Lady Sarah hob beide Hände. »Das auf keinen Fall! Dann lieber schwitzen. Air condition ist bestimmt keine gesunde Sache.«
»Das stimmt.«
»Die heißen Tage werden auch vorbeigehen, Jane, und mir geht es jetzt schon wieder besser.« Lady Sarah lächelte. »Das liegt sicherlich an deinem Tee.«
»Was kann man dabei schon falsch machen?«
»Oh, einiges.« Sarah ließ ihren Blick suchend über den Tisch gleiten. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die besonders viel frühstückten, aber auf ihr Ei wollte sie nicht verzichten. Sie schlug die Kappe ab und fing an zu essen. Danach würde sie noch ein Hörnchen mit Konfitüre essen und noch eine Tasse Tee trinken.
Jane beschäftigte sich mit ihrem Rührei und aß cross gebratenen Speck dazu. An diesem Morgen verspürte sie wirklich Hunger, trotz der Wärme.
Zudem hatte sie in der vergangenen Nacht gut geschlafen, und der neue Tag lag vor ihr.
Es war die Zeit der Flaute oder anders ausgedrückt: die Zeit des Sommerlochs. Da passierte nicht viel, wovon Journalisten und Reporter so manches Lied singen konnten, und auch bei der Privatdetektivin Jane Collins tröpfelten die Aufträge nicht mehr ein. Sie hatte sich einen Zwangsurlaub nehmen können, war zwischendurch für zwei Wochen an die See gefahren, hatte es aber dort nicht mehr ausgehalten, weil auch andere auf die Idee gekommen waren und die Strände überfüllt waren.
Sie war wieder nach London zurückgekehrt. Einige Male hatte sie versucht, mit ihrem Freund John Sinclair Kontakt aufzunehmen, der aber war ständig unterwegs gewesen. Dämonen und andere Schwarzblüter kannten eben kein Sommerloch.
»Jetzt geht es dir aber nicht gut«, stellte Lady Sarah fest. Mit einer Serviette tupfte sie sich den Schweiß von der Stirn.
»Wie kommst du darauf?«
»Das sehe ich deinem Gesicht an.«
Jane lachte. »Du hast recht. Es gibt gewisse Dinge, die mich eben stören.«
»Das Sommerloch?«
»Bingo.«
Sarah winkte ab. »Das hat es früher schon gegeben, das gibt es heute, und auch in der Zukunft werden die Menschen damit zu tun haben.«
So sehr die Antwort auch stimmte, so wenig gefiel sie Jane. »Warum redest du nur von der Allgemeinheit und schließt dich nicht ein, Sarah?«
»Tue ich das denn?«
»Ja, das hat sich für mich so angehört.«
Sarah trank einen Schluck Tee, bevor sie wieder sprach. »Du darfst nicht vergessen, daß ich zu den Menschen gehöre, die ihre Zukunft hinter sich haben.«
»Das ist doch Unsinn.«
»Sagst du.«
»Seit wann hast du solche Gedanken?« Jane schüttelte den Kopf. »Sie kommen mir nicht nur komisch, sondern erschreckend vor.«
»Das streite ich nicht ab, Jane. Aber wenn du in mein Alter kommst, dann wirst du schon nachdenklich, das sage ich dir.«
»Schon, aber…«
»Ich denke oft genug an den Tod. Du nicht, Jane?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nicht im Normalfall. Nur wenn es mir dreckig geht und ich wirklich in der Falle
Weitere Kostenlose Bücher