093 - Neun Leben
politischen Gegners.
»Ich habe sie nicht entführt, und ich habe sie auch nicht getötet«, sagte dessen Stimme leise, bevor die Tür geschlossen wurde und Siimn allein am Tisch sitzend zurückblieb.
»Und?«, fragte er nach einem Moment.
Der Lauscher trat aus den Schatten mehrerer Bierfässer, zwischen denen er reglos verharrt hatte. »Er sagt die Wahrheit, Herr. Er weiß nicht, wo die Königin ist.«
»Verdammt«, sagte Siimn, »und ich war mir so sicher. Was denkt er sonst noch?«
»Er hat jemanden losgeschickt, der nach der Königin suchen und sie töten soll, wenn er sie findet.«
»Ja, ja, das habe ich auch, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, nur für den Fall, dass sie und ihr Balg tatsächlich noch leben, was ich nicht glaube.«
Der Lauscher trank ungefragt aus dem Krug mit heißem Wein. Er wirkte wütend und verstört. »Das war alles Wesentliche, Herr. Nur um einen Gefallen möchte ich Euch noch bitten.«
Es war selten, dass Sklaven ihn um etwas baten. Siimn behandelte sie gut und erwartete deshalb, dass sie ohne Murren und Extrawünsche ihre Arbeit erfüllten. Olaaf, der Lauscher, bildete keine Ausnahme, auch wenn er mehr für diesen speziellen Sklaven bezahlt hatte als für alle anderen zusammen.
»Ich habe gesehen, was Osgaard der Familie seines Lauschers antun wollte«, fuhr Olaaf fort. »Wenn er eines Tages Euer Feind, nicht mehr nur Euer Gegner wird, lasst mich ihn für Euch töten.«
Siimn nahm ihm den Weinkrug aus der Hand. »Wenn er eines Tages mein Feind wird, werde ich nicht zulassen, dass jemand anderer als ich ihn tötet. Das bin ich mir schuldig.«
Die Hitze des Weins war ihm zu Kopf gestiegen wie ein Fieber. Er schüttelte sich und legte die Handflächen auf die Holzräder seines Rollstuhls.
»Bring mich nach Hause, Olaaf.«
***
Toll, dachte Matt. Ich lasse meine schlechte Laune an einem jungen Mädchen aus. Sehr nobel für einen König.
Er blieb stehen und sah zurück in den Gang. Zwei Kreuzungen lagen bereits hinter ihm und Miouu war nicht mehr zu sehen. Es war ihm klar, dass er sich verlaufen hatte, aber die halb gemauerten Gänge waren leer. Er konnte niemanden nach dem Weg fragen.
Matt drehte sich um. Man hatte ihn in Jennys Quartier untergebracht, und es war unwahrscheinlich, dass sich diese Räumlichkeiten im unfertigen Teil des Palastes befanden. Also musste er eine Abzweigung finden, die ihn zurück in den fertiggestellten Teil brachte. Dort hielten sich sicherlich auch Diener und Wachen auf, die er fragen konnte.
Seine Schritte hallten von den Mauern wider. Ein Teil war in bestehende Ruinen hinein gebaut, den Rest hatte man mit notdürftigen Holzdecken versehen, um das Innere vor Regen zu schützen. Überall lagen Baumaterialien herum, aber niemand schien zu arbeiten. Matt nahm an, dass die Wachen den Palast nach Jennys Entführung abgesperrt hatten.
Die Veränderungen, die er sah, beeindruckten ihn. In nur drei Jahren war es den Menschen von Beelinn gelungen, aus verfeindeten, barbarischen Stämmen eine Gesellschaft zu bilden, die deutlich mittelalterliche Züge zeigte. Jenny hatte ihnen natürlich dabei geholfen, aber ohne den Willen ihrer Untertanen hätte auch sie nichts erreichen können.
Andere Dinge beunruhigten ihn jedoch. Johaan hatte berichtet, dass der bucklige Mene, der zusammen mit Jenny hätte regieren sollen, ein Jahr nach Matts Abreise umgebracht worden war.
Die Mutter, das geistige Oberhaupt der Frawen, hatte ihn nicht lange überlebt, war wohl einem Rachemord zum Opfer gefallen. Jenny selbst war in den drei Jahren ihrer Regierungszeit so oft bedroht und angegriffen worden, dass Johaan den Überblick verloren hatte. Allein in der Woche vor ihrer Entführung hatte man zweimal versucht, sie zu töten.
Es war nur eine Frage der Zeit. Das hatte Johaan gesagt, und Matt war geneigt ihm zuzustimmen. Auch wenn es nur kleine reaktionäre Gruppen waren, die ihren Tod wollten, früher oder später hatte es ihnen gelingen müssen. Gertruud hatte es als glücklichen Zufall bezeichnet, dass Matt aufgetaucht und den Sturz der Stadt ins Chaos aufgefangen hatte. Für Beelinn hätte es schlimmer kommen können.
Matt versuchte weder an Jenny noch an das Kind zu denken.
Aruula und Black kümmerten sich darum. Bis sie zurückgekehrt waren, musste er sich auf andere Dinge konzentrieren - und darüber nachdenken, wie er und Aruula mit der veränderten Situation umgehen sollten.
Der Gedanke an Aruula brachte ihn zurück zu Miouu. Er wollte sich bei ihr
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