0930 - Das Stigma
sein.«
»Zusammen mit dem Blut?«
»Marcia hat es gesagt. Sie sprach von der Erscheinung des Engels. Sie ist durch diese Worte zu einer Gotteslästerin geworden, was wir ihr auch sagten, aber sie hat sich nicht davon abbringen lassen. Für sie war es die Wende in ihrem Leben, und sie hat wirklich alles angenommen, was ihr von nun an geboten wurde. Sie wollte nicht mehr bei uns bleiben. Sie wollte das Land verlassen und berühmt werden, und das ist ihr wohl auch gelungen, wie Sie selbst am besten wissen.«
»Ich kann es nicht leugnen.«
»Dann wissen Sie jetzt alles, Signore Sinclair.«
»Um Himmels willen, nein! Es fehlt noch einiges.«
»Was denn?«
»Ich bleibe bei dem Begriff Engel. Wie kommt es, daß er ihr erschienen ist und nicht Ihnen oder einer anderen Frau aus dem Ort? Haben Sie dafür eine Erklärung?«
»Nein.«
»Es muß eine geben und auch eine dafür, daß Marcia verschwunden ist.« Ich ging nicht in die Details und erzählte auch nichts von meiner Entdeckung im Spiegel.
Die Frau vor mir wiegte den Kopf. »Sie war schon immer etwas anders«, gab sie schließlich zu.
»Das müssen Sie mir erklären.« Alexa Tardi sperrte sich. Sie hatte ein Großteil ihrer Selbstsicherheit zurückgefunden. Ihr war aufgegangen, daß hier nicht einer aus ihrem Lebenskreis vor ihr saß, sondern jemand, der aus der Fremde gekommen war, aus einem anderen Land. »Warum sollte ich Ihnen das alles sagen, Signore Sinclair? Ich habe Ihnen schon diesen - na ja, es ist nicht eben ein Engel - diese Gestalt gezeigt, was mich schon wundert. Sie sind ein Fremder, und Sie stammen nicht mal aus meinem Land. Warum sollte ich Ihnen also vertrauen?«
»Ganz einfach, Signora Tardi. Weil ich Ihnen helfen will. Ich bin gekommen, um einen Fall aufzuklären, aber ich bin auch hier, um Ihnen zu helfen. Deshalb sollten Sie mir erstens glauben und zweitens Vertrauen in mich setzen.« Sie hatte mir zugehört und strich wieder über ihr Kopftuch. »Aber Sie kamen mit Marcia.«
»Ist das so schlimm?«
»Wie man es nimmt, Signore Sinclair. Diese Frau gehört nicht mehr zu uns. Sie hat uns ja auch verlassen, und wir waren froh darüber. Aber jetzt ist sie in Ihrer Begleitung zurückgekehrt, und das macht uns schon nachdenklich, wenn ich ehrlich sein soll. Sie haben mir auch erzählt, daß Marcia Ihr Leben gerettet hat. Das will ich gern glauben. Wie wollen Sie da noch objektiv sein?«
»Bene, Signora, Ihre Bedenken kann ich verstehen. Sie sind legitim, aber ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, rätselhaft Phänomene aufzuspüren. Ich bin jemand, der - ich sage es bewußt grob - Geister, Dämonen und andere Geschöpfe der Finsternis jagt. Ich habe schon einige Erfolge errungen, ich kenne mich aus, aber ich bin kein Exorzist, sollten Sie mich danach fragen. Ich möchte nur, daß das Böse verliert, und ich weiß auch, daß hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Dabei beziehe ich natürlich auch Marcia Morana mit ein.«
Alexa Tardi ließ sich Zeit, um meine Worte zu verarbeiten. »Gut«, sagte sie dann, »das sehe ich ein. Und irgendwie habe ich Ihnen ja schon vertraut, als ich Sie herführte und Ihnen die Gestalt zeigte.«
»Wobei wir wieder beim Ursprung wären, bei Marcia.«
»Ja.«
»Die schon immer ein wenig anders war, wie Sie sagten.«
»In der Tat. Sie hat sich als Kind und später als junges Mädchen ungewöhnlich verhalten, denn sie ging immer ihre eigenen Wege. Sie war sehr verschlossen, wollte mit vielen Kindern und Jugendlichen nichts zu tun haben. Redete auch sehr wenig und kümmerte sich ansonsten um Dinge, die uns suspekt waren.«
»Welche genau?«
»Sie ging oft in der Nacht allein weg, zum Beispiel.«
»Was tat sie da?«
Alexa Tardi hob die Schultern. »Ich habe keine Ahnung, wohin sie ging und wo sie sich versteckte. Sie hat niemanden mitgenommen. Es entstanden natürlich Gerüchte, und besonders Mutige haben sie mal verfolgt. Sie fanden auch einiges heraus, aber nicht genug. Die Morana war zwischen die Felsen gegangen, wie wir sagen, und sie hat sich an einen bestimmten Ort gesetzt, um zu meditieren.«
»Was war das für ein Ort?«
»Ein Stein, ein Kreuz, eine Stelle, die deshalb gekennzeichnet wurde, weil dort jemand verunglückte.«
»Wer?«
Alexa Tardi schaute auf den Tisch und schwieg.
»Wollen Sie es mir nicht sagen?«
»Doch.«
»Aber…«
Sie hob den Kopf an. »Es fällt mir schwer, aber dort verunglückten Marcias Eltern.«
»Oh…«
»Sie waren sofort tot. Es ist eine enge Straße, und das
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