0931 - Shinigami
auf sie wirkte. »Madame, ich weiß nur zu gut, wie es Ihnen geht!«, sagte Nicole leise und nahm Paulette Blazons Hand.
Erstaunt hörte Madame für einen Moment auf, in ihr Taschentuch zu schluchzen. »Sie, Mademoiselle? Sie sind doch noch so jung!« Erschrocken sah Nicole die ältere Frau an. Mist. Beinahe hätte ich mich verraten. »Ich… ich habe es an meinen Eltern gesehen«, stotterte Nicole etwas verlegen. »Die waren auch so lange verheiratet.«
»Ach so«, schnüffelte Madame wieder undeutlich. »Nun, Mademoiselle, als Mitarbeiterin der deBlaussec-Stiftung verstehen Sie ja sicher, dass ich nach all dieser wunderschönen gemeinsamen Zeit mit meinem Claude nicht wollte, dass er in die Hölle zu den Dämonen kommt! Sie wissen sicher, wie schrecklich es dort in der Hölle zugeht, im Fegefeuer, das hat mein Claude nicht verdient! Wissen Sie, damals, während der Besetzung durch die Bôches.«(Bôche: Verächtliche französische Bezeichnung der Deutschen, besonders während der Besatzung im 2. Weltkrieg)
»Nein, nein, natürlich hat Ihr Claude das nicht verdient«, versicherte Nicole schnell. »Aber Madame, gerade weil Sie mir Ihre und Claudes Geschichte so anrührend erzählt haben, bin ich so verwirrt: Was ließ Sie glauben, dass er ins Fegefeuer kommen würde?«
Ein wenig pikiert putzte sich Paulette die Nase und stopfte das Tuch wieder in ihre Tasche. »Man sollte ja wirklich sicher gehen, nicht wahr? Ich wollte ganz sicher sein, dass meinem Claude nichts Falsches passiert.«
»Deshalb also haben Sie Madame Yasmina bestellt?«
»Das habe ich! Und so jung diese Frau auch ist, sie hat ihre Sache sehr gut gemacht, das hat sie mir hinterher gesagt, jawohl.« Madame Blazon verschränkte entschlossen ihre Hände im Schoß.
Nicole verdrehte heimlich die Augen. »Aber Madame, wenn diese… Yasmina ihre Sache so gut gemacht hat, warum haben Sie sich dann an unsere Stiftung gewandt? Warum ist Claude dann ein Opfer?«
Madame Paulette seufzte auf und Nicole fühlte sich massiv an Madame Claire erinnert. »Also, Mademoiselle Julie, das ist doch ganz einfach. Genau, wie ich vorher gesagt hatte, tauchte um Mitternacht ein Dämon auf, der die Seele von meinem Claude einfangen wollte. Doch Madame Yasmina, die ich für einen solchen Fall bestellt hatte, hat dafür gesorgt, dass ein Totengeist erschien. Sie hat selbst mit ihm gesprochen! Und er hat das Höllengeschöpf schließlich verjagt. Leider erst, nachdem dieser dreimal verfluchte Dämon -«, sie bekreuzigte sich hastig, »- meinen Claude so erschreckt hatte, dass er starb! Er konnte mir gerade noch zuflüstern, dass der schwarze Mann da sei, um ihn zu holen! Aber dafür konnte dieser Totengeist dann auch die Seele meines Claude - Gott hab ihn selig! - ins Paradies bringen! Aber Tatsache ist, dass Claude vom Anblick dieses Dämons getötet wurde.«
Nicole war sprachlos über diese Logik und starrte Madame Paulette an, die jetzt sehr aufrecht, mit vorgeschobener Unterlippe ihr gegenüber saß.
»Madame«, fragte Nicole sanft. »Haben Sie den Totengeist und den… Schatten, wie Sie sagen - wie Claude gesagt hat - selbst gesehen?«
»Aber nein, wo denken Sie hin«, entrüstete sich Paulette. »Aber Madame Yasmina hat mir das hinterher selbst bestätigt! Jawohl. Und was Recht ist, muss auch Recht bleiben!«
Nicoles Verstand flüsterte ihr zu, dass das alles Unsinn war und dass Madame Paulette entweder nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte oder eiskalt auf Geld aus war. Aber wenn ich das jedes Mal geglaubt hätte, wenn mir jemand von magischen Aktivitäten erzählt … Sie seufzte und sah die jetzt sehr aufmüpfig aussehende Madame Blazon direkt an. Natürlich sah sie aufmüpfig aus, denn wahrscheinlich konnte man ihr, Nicole, an der Miene sehr deutlich ablesen, was sie dachte. Sie nickte der alten Frau dennoch freundlich zu. Vielleicht versuchte diese tatsächlich, etwas Geld zu der kümmerlichen Rente dazu abzustauben, aber es war ja nicht an Nicole, das letztendlich zu entscheiden.
Es würde wohl nichts anderes übrig bleiben, als auch noch zu dieser Madame Yasmina zu gehen und diese zu befragen.
Also, Nicole. Auf ein Neues.
***
Schon im Treppenhaus des Hauses Nummer 45 in der Rue Sainte Blaise schallte Nicole laute Punk-Musik entgegen, die bewies, dass sie sich hier in einer Studenten- oder Künstlerbude befand. Kein Wunder im Pariser Stadtteil Belleville - und vielleicht auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass Madame Yasmina sich selbst als Medium
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