0931 - Shinigami
andere herab zu rufen oder Krankheiten zu heilen«, verteidigte sie sich heftig. »Bei den Blazons war ich nur, weil ich wusste, dass niemand mehr Claude Blazon helfen konnte.« Nicole fragte nicht, woher Yasmina das wusste. Paulette war selbst der Überzeugung gewesen, dass niemand, nicht einmal ein Medium, ihrem Claude noch hatte helfen können.
»Also bin ich hin«, fuhr Yasmina fort. »Ich tue das nur in solchen Fällen. Ich habe Mitleid mit Claude und Paulette gehabt, und mit Kreide, die ich mit Weihwasser getränkt habe, so etwas wie einen magischen Kreis um das Bett von Claude Blazon gezogen und mit dem Budenzauber begonnen. Ich meine, ich habe angefangen, ein orientalisches Trinklied zu singen.« Sie drückte hastig die Zigarette aus. Die Verlegenheit war ihr anzusehen. »Aber dann auf einmal ist mir das Merkwürdigste passiert, was ich jemals erlebt habe.« Sie warf einen Blick auf die Küchentür, als vermute sie heimliche Lauscher dahinter. »Kaum hatte ich zu Ende gesungen, stand neben Claudes Bett ein japanischer Samurai! Er trug so etwas wie eine Maske.« Yasmina schauderte sichtlich.
»Könnte es nicht sein, dass Ihnen und den Blazons da jemand einen Streich spielen wollte?«, fragte Nicole vorsichtig. Es war klar zu sehen, dass Yasmina diese Gestalt auch jetzt noch Angst einjagte. Und das ließ die Dämonenjägerin stutzen, denn wer keine Skrupel hatte, Leute in so verzweifelten Situationen übers Ohr zu hauen, den konnte doch so ein kindischer Streich keine Angst einjagen?
Yasmina zündete sich eine zweite Zigarette an. »Glauben Sie mir, Madame Deneuve…«
»Nennen Sie mich Julie.«
»Julie.« Yasmina lächelte schwach. »Glauben Sie mir, ich war schon drauf und dran, auf den Kerl loszugehen und ihm die Maske vom Gesicht zu reißen. Ich dachte wirklich, dass Gaston sich einen Scherz erlaubt hätte. Aber als ich anfing, mit ihm zu sprechen, wandte er sich auf einmal ab und begann, mit seinem Schwert herumzufuchteln, und zwar in Richtung des Kranken, der auf einmal laut stöhnte. Als ich zu Claude Blazon hinsah, lag sein Gesicht plötzlich völlig im Dunkeln. Nur sein Gesicht! Das war es, worauf sich der Samurai dann stürzte. Ich dachte erst, er wolle Claude Blazon umbringen. Das Seltsamste überhaupt ist, dass Paulette Blazon das alles überhaupt nicht zu registrieren schien.« Sie sog nervös an ihrer Zigarette. »Sie sah nichts. Weder den Schatten, vor dem ihr Mann solche Angst hatte, noch diesen Samurai.«
Nicole staunte. Erzählte diese junge Frau ein Märchen? Konnte sie tatsächlich Geister sehen? Wieso hatte sie das vorher nie gemerkt? Sie hatte ja bei den Blazons nicht zum ersten Mal das Medium gespielt.
»Sie sagen, Paulette habe den Samurai nicht gesehen? Und den Schatten auch nicht?«
»Nein. Der Schatten verschwand sehr schnell wieder. Ich bin nicht sicher, ob der Samurai ihn verjagt hat, er schien Formeln zu rezitieren, um sein Schwert herum bildeten sich Lichteffekte. Claude Blazon war tot und der Samurai schien darüber enttäuscht. Er ließ sein Schwert sinken und teilte mir mit, dass es sein Versagen sei, dass zum Tode von Claude Blazon geführt habe. Paulette sah nur noch Claude. Sie hörte mich sprechen und hielt mich offenbar für eine Heilige.« Yasmina schnaubte. »Und jetzt kommt das Abgefahrenste: Der Samurai behauptete, er sei ein Totengeist und bringe Seelen ins Jenseits. Er sagte, er würde das für Claude tun, ich solle das seiner Gattin sagen. Als ich ihn fragte, wer zur Hölle er sei und wieso er das Paulette nicht selbst sage, fragte er mich allen Ernstes, wieso ich das als Weißmagierin nicht wüsste. Dann rezitierte er ein paar weitere Formeln und verschwand, ohne mich noch einmal zu beachten.«
Nicole starrte die junge Frau verblüfft an. Sie war sprachlos. Unglaublich , dachte sie. Immer wieder glaubte sie, alles schon gesehen zu haben - und dann passierte so etwas. Das klang wirklich so, als habe die junge Frau einen Geist gesehen. Einen japanischen Totengeist, der wie ein Samurai gekleidet ist?
Yasmina hatte recht. Das war so abgefahren, dass es schon wieder wahr sein konnte. Für einen Moment dachte Nicole daran, dass Yasmina und Paulette sich zusammengetan hatten, um die deBlaussec-Stiftung hereinzulegen. Dann dachte sie an die ehrliche Trauer, die Paulette um ihren Mann empfand und sah auf die zitternden Hände von Yasmina.
Nici, es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde… na, du weißt ja selber, wie der alte Spruch weitergeht , hörte sie auf
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