0933 - Der erste Erbfolger
musste vorsichtiger sein, wenn er den Anschein aufrecht erhalten wollte, Jurg zu sein. Andererseits blieb ihm vermutlich ohnehin nicht mehr viel Zeit! Als wäre dieser Gedanke ein Signal gewesen, zuckte plötzlich ein flammender Schmerz durch Jurgs linke Hand. Zamorra wollte die fremden Finger bewegen, doch sie blieben steif.
Merde! Was war denn nun los? Der Beginn einer verspäteten Totenstarre? Unfug! Jurgs Körper war nicht tot, zumindest noch nicht.
Einige Minuten später blieb Invo erneut stehen. Zamorra wollte schon fragen, was los sei, als er sich die Antwort selbst geben konnte. Sie hatten ihr Ziel erreicht! Vielleicht zehn Meter vor ihnen mündete der Gang in eine riesige Kuppel. Das musste die Zeremonienhöhle sein. Von ihrem derzeitigen Standpunkt aus konnte Zamorra keine Einzelheiten erkennen, aber er hörte leise Stimmen.
Er ging an Invo vorbei und wollte den nächsten Schritt machen. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter.
»Bist du wahnsinnig?«, raunte der Priester ihm zu. »Wenn du weitergehst, können sie dich sehen!«
Zamorra machte eine fragende Geste. Was sollen wir also tun?
Wie zur Antwort zog Invo den Dhyarra aus der Tasche und keinen Lidschlag später bogen sich die dichten Äste der Ramesch-Tannen zur Seite und öffneten ihn einen Gang, wo bisher nur undurchdringliche Vegetation geherrscht hatte. Zamorra war beeindruck. Invo beherrschte den Dhyarra ausgezeichnet!
So kämpften sie sich durch den Wald wie ein Maulwurf durchs Erdreich. Hinter ihnen glitten die Äste in ihre ursprüngliche Position zurück und verwischten so jede Spur ihrer Anwesenheit. Schließlich erreichten sie die letzte Baumreihe, die sie von der Zeremonienhöhle trennte. Von hier aus konnten sie zumindest einigermaßen durch die Nadeln spähen, ohne selbst entdeckt zu werden.
Der Anblick raubte Zamorra den Atem. Die Kuppel erstreckte sich mindestens zehn Meter in die Höhe, bis ein dichtes Geflecht aus Ästen ein natürliches Dach bildete. Nur im Zentrum des Kuppeldaches blieb ein Loch frei, durch das vermutlich die Sonne scheinen konnte, wenn sie aufgegangen war.
Direkt unter diesem Lichtschacht stand ein hüfthoher Stumpf einer Ramesch-Tanne, der augenscheinlich als eine Art Altar diente. Darauf lag ein Säugling! Der, den Jurg und Invo schon bei ihrem letzten Ausflug gesehen hatten. Aryen Chluhe'chlyns Sohn.
Der zukünftige erste Erbfolger?
Die Vermutung lag nahe.
Neben dem Altar stand der Vater des Säuglings. Den Kopf hielt er in demütiger Haltung gesenkt. Den Grund dafür entdeckte Zamorra nur wenige Meter von Aryen entfernt. Ein Dämon! Er besaß die Gestalt, in der man sich den Teufel am ehesten vorstellte - eine ledrige, braune Haut, einen muskulösen menschlichen Oberkörper, Hörner und gewaltige ledrige Schwingen. Doch es war nicht der Teufel.
»Lucifuge Rofocale!«, kam es über Jurgs Lippen.
***
Invo zuckte herum und sah Zamorra mit finsterem Blick an.
»Du kennst diesen Dämon?«, zischte er.
»Was? Nein… äh… ich habe von ihm gehört.«
»Was verbirgst du vor mir, mein Sohn?«
Eine erneute Flammenwelle brandete in Zamorras linker Hand auf. Nur mit Mühe konnte er ein Stöhnen unterdrücken. Ihm lief die Zeit davon! »Lass uns später darüber reden!«, vertröstete er Invo, wohl wissend, dass es kein Später geben würde.
Er hoffte, dass sich der Priester auf keine Diskussion einlassen würde. Schließlich waren sie nur durch einige Bäume von einem schrecklichen Dämon getrennt.
Zamorra konnte es nicht fassen! Lucifuge Rofocale war der Schöpfer der Erbfolge! Kein Wunder, dass er sie nach ihrem Wechsel auf die Seite des Guten vernichten wollte.
»Was geschieht nun?«, hörte Zamorra den Vater des ersten Erbfolgers fragen.
Lucifuge Rofocale wies nach oben zu dem Loch im Ästedach. »Wenn die Sonne ihren ersten Strahl in die Zeremonienhöhle schickt, werde ich deinem Sohn einen dämonischen Keim einpflanzen, der ihm eine ganz besondere Art der Unsterblichkeit verleihen wird.«
Aryen winkte ab. »Ja, natürlich. Das war so vereinbart. Aber was ist mit mir? Werde ich es in Lemuria zu Macht und Reichtum bringen?«
»Eines nach dem anderen! Du sollst deine Belohnung erhalten, wenn du deinen Teil des Handels erfüllt hast.«
»Gut.« Aryen schwieg für einen Augenblick. »Was meinst du mit besondere Art der Unsterblichkeit ?«
Zamorra bezweifelte, dass Lucifuge Rofocale darauf eine Antwort geben würde, doch er täuschte sich.
»Deinem Sohn - wie war sein Name?«
»Stracen«,
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