0934 - Der Schlüssel zur Quelle
noch Zeit dafür?
Schon spürte sie seinen Todeshauch an ihrem Hals, seine Klauen an ihrem Kinn. Matlocks Hand war sanft, aber bestimmt, als er die zarte, ewig jugendliche Haut berührte, Annes Kopf zur Seite drehte und ihre Schlagader freilegte. Ungeschützt lag sie vor ihm, pulsierend, lebend. Ein wartendes, wehrloses Opfer. Nur Zentimeter trennten seinen Mund noch von Annes Körper, und er kam näher. Näher und immer näher.
Ein letzter panischer Gedanke schoss ihr durch den Kopf: Ob Krychnaks Regenerationsmagie, die sie schon mehrmals vor dem sicheren Ende bewahrt hatte, auch griff, wenn sie nicht Anka, nicht mit Kathryne vereint war? Durfte sie darauf hoffen, dass sie Anne auch den Untod, also die Vampirwerdung ersparte?
Als Matlocks kalte, widerliche, leblos anmutende Lippen ihre Haut berührten, schloss Anne die Augen und stellte ihren Widerstand ein. Ihre Wut hatte keinen Nutzen mehr. Es war vorbei.
Und McCain begann zu kichern…
»Was hast du gesagt?«, zischte er, ganz nah an ihrem Ohr. »Nicht Anka? Warum soll ich dich nicht bei deinem Namen rufen?«
Zuerst schwieg sie, perplex ob der Tatsache, dass sie noch immer atmete. Noch ohne seinen Vampirkeim war. Dann - zunächst zögernd und mit schwacher, zitternder Stimme, danach immer schneller - begann sie, ihm zu erzählen. Von Krychnak und der Suche nach dem Erbfolger . Von Kathryne und der Zeit mit ihr, als Anka. Von dem Hass, den sie verspürte, wann immer sie an den Spross des Llewellyn-Clans dachte - und an den Rattenschwanz an Konsequenzen, der mit ihm einherging und der das Leben der jungen Frau, die die spätere Anka einst gewesen war, für immer verändert hatte. Grundlegend.
McCain lauschte jedem Wort aufmerksam, doch wirkte er nicht sonderlich überrascht. Im Gegenteil hatte Anne den Eindruck, als würde er bei mancher ihrer Enthüllungen nur wissend nicken - fast so, als habe er sich die Kenntnis dieser Tatsachen längst schon auf anderem Weg angeeignet. Nachdem sie geendet hatte, ließ der Vampir abermals sein Kichern hören. »Wie ich vermutete«, sagte er dann und zu Annes grenzenlosem Erstaunen.
Plötzlich verlagerte er sein Gewicht, bewegte sich über ihr und brachte sein Gesicht direkt über das ihre. Auge in Auge lagen sie da, zwei mächtige, von der Erbfolge verwandelte Wesen, die doch kaum ungleicher hätten sein können.
Und Matlock McCain machte Anne ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnte.
***
Er war schon einmal hier. Mindestens. Mittlerweile weiß er das mit einer Sicherheit, die längst weit über das faktisch Belegbare hinausgeht. Er weiß es mit der Seele, nicht mit dem Verstand.
Genauso, wie er weiß, dass jenseits des Übergangs sein Ende auf ihn wartet. Eine Ewigkeit voller Qual. Sühne für seine Schuld. Man muss nicht Pastor McGinley sein, der Gefängnispfarrer aus Walls Unit, um das zu wissen.
Am Schluss wird immer abgerechnet. Und seine Rechnung ist hoch.
Verdammt hoch.
Der Sog hat nicht nachgelassen, ist wie ein hungriges Raubtier. Unbarmherzig packt er ihn und reißt ihn mit sich, lässt niemals los. Rauschend, tosend. Er nimmt ihm zuerst die Orientierung, als zweites die Sinne und dann, irgendwann, wird er sich auch den Rest einverleiben, denn er ist unersättlich. Dieser Sog wird das, was einst sein Wesen war, auflösen und zu einem Teil von sich selbst machen. Diese Erkenntnis versetzt den Fallenden nach wie vor in ein Stadium des Entsetzens, das jenseits aller Beschreibungen liegt: in Panik - nackte, kalte, rohe Panik. Jede Faser seines Seins ist erstarrt vor Grauen. Jede Pore des Körpers, den er gehabt zu haben glaubt, verströmt sein Entsetzen.
Doch was ist das?
Inmitten des Rauschens ist plötzlich etwas neu. - Etwas, das vorher nicht war. Oder ist es ihm nur nicht aufgefallen?
Es sind nicht die Gesichter, die Figuren von einst. Es ist… ein Klang. Sirenengesang?
Mit einem Mal scheint ihm, als höre er eine Stimme von jenseits des wabernden Loches, des grausamen Schlunds, auf den er haltlos und hilflos zusteuert. Die Stimme ist weiblich. Ist lieblich.
Ist lockend.
Kapitel 4 - Bündnisse
»Wir sollten es…«
»Nein. Noch nicht.«
»Aber findest du nicht, dass er es verdient…«
»Natürlich hat er das. Er genauso wie jeder andere von uns. Doch der Zeitpunkt ist schlecht gewählt. Dylan weiß nichts davon, und seine diesbezügliche Unkenntnis könnte uns in den kommenden Tagen zum Vorteil gereichen. Zumindest hoffe ich das.«
Rhett Saris ap Llewellyn und Professor Zamorra standen
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