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0934 - Der Schlüssel zur Quelle

0934 - Der Schlüssel zur Quelle

Titel: 0934 - Der Schlüssel zur Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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hoffte er, dass er nicht zu spät kommen würde.
    ***
    Kathrynes Haare klebten ihr auf der Stirn, und ihre Kleider hingen ihr am Leib, triefend vor Nässe. Der Himmel hatte seine Schleusen aufs Neue geöffnet und ergoss sintflutartige Regenfälle über jeden, der sich bei diesem Mistwetter vor die Tür wagte. Jeden, der das Pech hatte, raus zu müssen.
    Kathryne musste. Es gab Dinge, die konnte und wollte sie niemandem sonst überlassen. Dinge wie die Person, die sie in diesem Moment von der anderen Seite des magischen Schutzschirmes aus angrinste, der um das Château lag. Es war eine Person, die Kathryne ähnelte wie ein Ei dem anderen.
    Anne.
    »Schön, dich wiederzusehen«, sagte die Doppelgängerin spöttisch. Ihr Lächeln war so falsch, wie das triumphierende Leuchten in ihren Augen überheblich war.
    »Was willst du?«, fragte Kathryne. Kein Small Talk, verstanden? Nicht mit dir. Nicht unter diesen Umständen.
    Anne hob die Brauen und schob die Unterlippe vor. »Och, kein freundliches Hallo? Kein ›Hab dich vermisst, Schwesterherz‹?«
    »Du bist nicht meine Schwester.«
    »Das stimmt«, gab Anne zu. Dicke Tropfen liefen ihr über die Stirn, perlten von ihrer Nase. »Wir hatten nie eine, im biologischen Sinne. Wir hatten stets nur uns. Von daher sollte ich mich wohl eher als… ja, als bessere Hälfte bezeichnen. Findest du nicht auch?« Abermals das Lächeln. Weiße Zähne in einem fahlen, regennassen Gesicht.
    In Kathrynes Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sollte sie versuchen, Anne zu überwältigen und wieder mit ihr zu verschmelzen? Früher oder später würde es ohnehin geschehen, wenn der Drang zur Vereinigung zu groß wurde - wie schon so oft! Aber wollte sie das überhaupt? Mit dem Wissen leben, eine Mörderin in sich zu tragen? Durfte sie nicht einfach nur mit Rhett zusammen sein, glücklich sein? Als Kathryne, nicht als Anka?
    »Was willst du?«, wiederholte sie.
    Anne nickte, setzte zu einer Antwort an. Doch bevor sie sprechen konnte, drangen Rufe vom Haus herüber.
    Kathryne erkannte die Stimme und reagierte sofort. »Geh wieder rein, Dylan«, sagte sie laut. »Das hier regele ich allein.« So, wie ich es schon vor langer Zeit hätte regeln sollen.
    Keuchend kam der ehemalige »Dämonentourist« neben ihr zum Stehen. »Bist du bescheuert? Warum auf Unterstützung verzichten, wenn sie bereitwillig zur Verfügung steht?« Dann wandte er sich Anne zu. »Hallo auch. Na, wie viele Unschuldige mussten diesmal dran glauben, nur weil du meintest, dich abreagieren zu müssen?«
    Die Worte waren im Plauderton ausgesprochen worden. Dennoch waren sie an Schärfe kaum zu überbieten. Oft, wenn sich Anne von Kathryne trennte - sich also aus der Gemeinschaftsexistenz Anka löste und zur eigenen Persönlichkeit wurde -, reagierte Anne darauf, indem sie ihre Wut über den Erbfolger an allem und jedem ausließ, das und der ihr vor die Augen kam. Einzig innerhalb von Grenzen, die von einer magischen M-Abwehr gesichert wurden - etwa denen um Llewellyn-Castle oder dem Château Montagne -, war Anka vor der Spaltung in ihre Komponenten Kathryne und Anne gefeit. Und die Welt da draußen vor der Furie Anne sicher.
    Kathryne war kein allzu trübseliger Mensch, trotz ihres schweren Schicksals. Dennoch hatte sie bereits mehrere Selbstmordversuche hinter sich gehabt, als sie auf Dylan, Rhett und den Rest der Kämpfer um Professor Zamorra getroffen war und bei ihnen - sowie in Rhetts starken Armen - eine neue Heimat, eine neue Mitte gefunden hatte. Sie hatte sich das Leben nehmen wollen, weil sie darin den einzigen Weg gesehen hatte, Annes Wutausbrüche zu stoppen. Kathryne war dazu bereit gewesen, sich zu opfern, um Unschuldige zu schützen. Und es war ihr sogar gelungen! Doch nach jedem geglückten Freitod war Anka Crentz wieder ins Leben zurückgekehrt; ein wahrhaft schmerzhafter, qualvoller Prozess - schlimmer noch als die Tötung selbst. Das lag an der Regenerationsmagie, die der Höllendämon Krychnak vor Jahrhunderten über Anka gesprochen hatte und die sie seitdem weder altern noch - langfristig gesehen - sterben ließ. Die sie zu einem ewigen Dasein verdammte.
    Nein, Ankas/Kathrynes/Annes Fluch war einer, dem selbst der Tod kein Ende bereiten konnte. Einer ohne erkennbare Hintertürchen, aus dem es kein Entkommen gab. Nur die Hoffnung, dass Kathrynes Moral und Anstand eines Tages doch über das Verkommene und Triebhafte in Anne triumphieren würden.
    Irgendwann.
    Vielleicht.
    »Bist du hier, um zu bleiben?«,

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