0937 - Die Rückkehr des Amuletts
sich reißen wollen, kaltgestellt hatte. Sie war es nicht gewesen, aber allein, dass die Höllischen dies glaubten, festigte ihre Machtposition und selbst die intriganten Erzdämonen unterwarfen sich ihr weitgehend. Denn ihr wurden Kräfte zugeschrieben, die sie nicht besaß. Natürlich tat sie alles, um die höllischen Legenden um »Stygia, die machtvolle Herrscherin des schwefligen Zeitalters« anzuheizen. Kräftige Kratzer in ihrer Außendarstellung würden sich aber trotzdem katastrophal auswirken, weil dann umgehend die Beißhemmung unter den Erzdämonen verschwinden würde.
Stygia hoffte also weiterhin auf ihr Glück. Inwieweit sie einem eventuellen Bündnis mit Asael ihre Bedingungen aufdrücken konnte, würde sie abwarten müssen. Möglicherweise konnte sie den Gnom ja irgendwie übers Lavafeld ziehen.
Die Zeit des Zögerns war zu Ende. Stygia passierte den Finger Satans , kletterte über einige der schwarzen Felsen und spürte plötzlich einen unsichtbaren Schlag gegen ihren Rücken. Sie wirbelte herum. Aber da war nichts. Gleichzeitig glaubte sie, ihre Umgebung drei- und vierfach zu sehen. Die einzelnen Ebenen drehten sich wirr umeinander und durchdrangen sich. Die Ministerpräsidentin musste einen starken Zauber wirken, um sich nicht in diesen magischen Illusionen zu verlieren. Es wurde zwar besser, aber sie litt trotzdem noch unter einem seltsamen Gefühl der Orientierungslosigkeit, wusste zeitweise nicht, in welche Richtung sie sich bewegen sollte. Doch mit einem Schlag verschwand das Gefühl. Anscheinend hatte sie die magische Strömung, in die sie geraten war, wieder verlassen. Jetzt erst merkte sie, dass sie eigentlich schon da war.
Ein atemberaubender, nie zuvor gesehener Anblick bot sich ihr. Tief unten, in die Felsen eingebettet, erstreckte sich ein riesiger Lavasee, über dem ausgedehnte Dampfwolken hingen. Die orangegelbe Masse bewegte sich so träge wie Quecksilber, es brodelte und blubberte darin, immer wieder schossen Fontänen viele Meter hoch und fielen, in viele Tausend kleine Tröpfchen zerteilt, langsam zurück. Mächtige Tiere, die entfernt an Delphine mit Stierkopf erinnerten, sprangen nach den Fontänen und verschwanden gleich darauf wieder in der Lava. Das Seltsamste aber waren die unaufhörlichen Blitze am blutroten Himmel, die sich knapp über der Lavaoberfläche zu einem dicken Balken vereinigten. Der wiederum verschwand nahezu senkrecht im See.
Die Ministerpräsidentin spürte nun fast körperlich die unheimliche Aura, die über diesem See lag. Eine Aura derartiger Macht, dass sie unwillkürlich schauderte. Eine Macht, der sie sich nicht annähernd gewachsen fühlte. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie niemals in diesen See eintauchen konnte. Es würde ihr sofortiger Tod sein. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass Asael wirklich dort unten in der Lava hing, in unergründlichen Tiefen an irgendeiner Felswand. Er hatte sie hierher gelockt, es war nichts als eine Falle.
Ich verschwinde wieder von hier, bevor es zu spät ist. Und bei LUZIFER, ich werde niemals wieder an diesen Ort zurückkommen…
Stygia wollte soeben wieder umdrehen, als sie erstarrte. Erschrocken starrte sie auf die Lavaoberfläche. Dann stockte ihr vollkommen der Atem.
»Nein…«
***
Hochseefähre Danielle Casanova
Einer der Kidnapper trieb Rhett vor sich her und stieß ihn in eine der Passagierkabinen. Dort fesselte er ihn mit Klebeband, das er bei sich trug, an einen Stuhl. Rhett ließ alles widerstandslos über sich ergehen. Er war immer noch total geschockt vom kaltblütigen Mord an der bedauernswerten Verkäuferin. Der Mann verpasste ihm noch eine Kopfnuss und ging dann wieder. Plötzlich herrschte durchdringende Stille. Rhett hörte seinen Herzschlag überlaut in den Schläfen pochen, zudem rauschte ihm das Blut im Kopf. Vor allem der Gedanke an seine Mutter und die Unheil verkündende Drohung des Gangsterbosses ließen ihn fast verrückt werden. Es dauerte eine Weile, bis er seine Panik im Griff hatte und ruhiger wurde.
Rhett hatte trotzdem Angst. Da war der unförmige Schatten wieder, den er schon über der Leiche gesehen hatte. Er wanderte über die Kabinenwand. Aber wahrscheinlich handelte es sich um Einbildung seiner überreizten Nerven, denn plötzlich war er wieder weg. Rhett zerrte an seinen Fesseln. Er könnte sich so gut wie nicht bewegen, der Gangster hatte ganze Arbeit geleistet und ihn so eng an den Stuhl gezurrt, dass ihm bereits Arme und Beine zu kribbeln begannen.
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