094 - Der Teufel von Tidal Basin
ist.«
Sie sah ihn entsetzt an.
»Sie meinen - es ist doch nichts passiert?«
»Ich hoffe nicht.«
Michael hatte den Chefinspektor bisher zwar für einen sehr gediegenen, aber im allgemeinen trockenen und phantasielosen Beamten gehalten. Er war daher sehr erstaunt, als Mason mit knappen, gutgewählten Worten seine Geschichte äußerst gewandt und interessant erzählte, ohne eine wichtige Tatsache auszulassen. Janice hörte ihm gespannt zu. Der Vorfall, von dem er berichtete, erschreckte sie zwar nicht so sehr wie der Tod Batemans, aber dafür schmerzte es sie um so tiefer, denn Marford war für sie das Ideal eines aufopfernden, selbstlosen Menschen gewesen.
»Das Traurige ist, daß wir nichts über den Doktor und seine Freunde wissen. Wir haben keine Ahnung, wo wir mit unseren Nachforschungen beginnen sollen. Sie waren doch seine Sekretärin . . .«
»Nein, das war ich nicht. Ich habe nur manchmal die Abrechnungen für die Klinik und für das Erholungsheim gemacht. Auch bei den Vorbereitungen für die Gründung des Tuberkuloseheims in Annerford habe ich geholfen.« Janice erzählte von den Plänen des Doktors, in Annerford eine Lungenheilstätte für die kranken Kinder von Tidal Basin einzurichten.
Mason nickte.
»Sie kennen doch die Patienten der Klinik, Miss Harman? Ist jemand darunter, der etwas gegen den Doktor hat? Oder hatte er besondere Freunde unter seinen Angestellten - Mann oder Frau?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Er beschäftigte nur wenige Leute. Eine ältere Krankenschwester und gelegentlich eine oder zwei Helferinnen. In Eastbourne hatte er auch nur eine ältere Dame und eine Helferin. Er war immer bemüht, die Klinik und das Erholungsheim zu vergrößern, und er wußte sehr wohl, daß das Personal nicht ausreichte. Aber bei seinen geringen Mitteln konnte er nicht mehr Leute einstellen.«
»Hatte er denn keinen Vertrauten unter seinen Angestellten in der Klinik, in Eastbourne oder in Annerford?«
Sie lächelte.
»In Annerford bestimmt nicht. Nein, ich wüßte niemanden. Er hatte keine Freunde. Sie glauben doch nicht, daß ihm ein Unfall zugestoßen ist?«
Mason erwiderte nichts darauf.
»Hatte Donald Bateman eigentlich Freunde?« fragte er.
Sie dachte nach.
»Ja. Er sprach von einem Herrn, den er von Südafrika her kannte, aber er nannte niemals seinen Namen. Der einzige andere Mensch, den er zu kennen schien, war Dr. Rudd.«
Mason schaute sie groß an.
»Wissen Sie das bestimmt?«
Sie nickte und erzählte ihm, wie sich Bateman benommen hatte, als Rudd an jenem Abend in Begleitung mehrerer junger Damen ins Restaurant gekommen war.
»Das gibt allerdings zu denken. Wo konnte er nur Rudd kennengelernt haben? Ich kann mir schon vorstellen, wie er dort aufgetreten ist - ich meine, der Doktor. Aber das ahnte ich allerdings nicht - hm!«
Er schaute lange Zeit nachdenklich auf den Teppich.
»Ja«, sagte er plötzlich. »Natürlich. Ich verstehe jetzt, warum er Dr. Rudd nicht begegnen wollte.« Er warf Michael, einen Blick zu. »Wollen Sie bei Miss Harman zum Frühstück bleiben?«
Mike schaute ihn vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf.
»Dann gehen Sie am besten nach Tidal Basin und warten dort in der Wache auf mich. Ich fahre nur noch nach Scotland Yard, um ein paar Angaben zu vergleichen. In einer Stunde bin ich bei Ihnen.«
Weißgesicht wartete geduldig bis Tagesanbruch. Er hatte sich umgekleidet und war nun sicher, daß er kein Aufsehen erregen würde, wenn er mit den anderen Fahrgästen im Autobus saß. Ein paarmal sah er sich nach seinem Gefangenen um, fand ihn aber jedesmal in friedlichem Schlaf.
Er trat ins Freie hinaus. Aus der Ferne drangen die Geräusche des Straßenverkehrs zu ihm. Bestimmt kontrollierte die Polizei schon seit Stunden jedes Auto, das die Stadt verlassen wollte. Die Londoner Polizei besaß intelligente Beamte, die sich alle Vorteile zunutze machten, und es war nicht nur schwer, sondern auch gefährlich, gegen sie zu arbeiten. Weder verachtete Weißgesicht die Polizei, noch fürchtete er sie. Es bestand nur geringe Wahrscheinlichkeit, daß er entkommen konnte, aber er wollte doch jede Gelegenheit ausnützen.
Niemand, der gesucht wurde und von dem man eine Fotografie besaß, hatte jemals England verlassen können. Vielleicht war es doch dem einen oder anderen gelungen, aber die Polizei gab solche Ausnahmen niemals zu.
Gefahren bedeuteten ihm nichts. Er bereute keine Tat seines Lebens, am wenigsten, daß er Donald Bateman ermordet hatte. Vielleicht wäre
Weitere Kostenlose Bücher