0940 - Geburt einer Dunkelwolke
Die Lemys sagen, daß es nicht leicht war, durch den Staubmantel nach Arla Mandra vorzudringen. Es hat sie große geistige Anstrengung gekostet, sich in dem mörderischen Chaos aus kosmischer Materie und hyperenergetischen Kraftfeldern zurechtzufinden. Aber wie man sieht, haben sie es geschafft. Wir kommen ganz gut mit ihnen aus, denn sie versorgen uns mit einigen lebensnotwendigen Dingen (die erst für uns lebensnotwendig wurden, als wir sie durch sie kennenlernten). Und wir brauchen nichts anderes zu tun, als sie durch unsere Welt zu führen und ihnen gelegentlich eine Göttergabe zu überlassen.
Die Lemys sagen auch, daß es auf anderen Himmelskörpern in Arla Mandra ebenfalls Göttergaben gibt, so etwa auch auf dem Planeten, den sie zu ihrer neuen Heimat gemacht haben. Aber ich kann auch daraus keinen anderen Schluß ziehen als den, daß die Sache mit den Geschenken der Götter ein großangelegter Schwindel ist. Ein Scherz der Götter?
Die Lemys nehmen ihn ernst.
Ich erreiche ihre Niederlassung, mein Kunstwerk habe ich sorgsam verpackt und behandle es wie ein Jahrhundertlied. Damit will ich die Lemys beeindrucken.
Lemy, ich bringe eine Göttergabe, schmettere ich dem Fremden entgegen, der mich abfängt.
„Lemirio ist nicht auf Zwottertracht, und er ist überhaupt nicht für jeden zu sprechen", sagt der Wächter, und ich verstehe gerade noch, was er meint. „Du wirst schon mit dem Kommandanten des Stützpunkts vorlieb nehmen müssen."
„Lemy wie Lemy wie vorlieb und recht", versuche ich mich in der Sprache der Lemys. Es hört sich schauderhaft an, aber der Wächter versteht, daß es mir egal ist, mit welchem Lemy ich handelseinig werde.
Aber das Geschäft wird die Enttäuschung meines Lebens.
„Da ist ein Zwotter, der uns ein Psychod bringt", werde ich angekündigt. Großes Palaver bei den Lemys, und ich enthülle mein Kunstwerk.
„Das ist eine Fälschung!" behauptet der Lemy, der mein Kunstwerk überprüft. „Pack dich fort, sonst..."
Ich muß ‘fliehen. Aber ich sehe noch, wie die Lemys mein Kunstwerk zerstören (was doch für seine Echtheit sprechen sollte, oder?), und fühle mich betrogen.
Wieder bei meinesgleichen zurück, besinge ich mein Erlebnis. Es werden verschiedene Mißtöne laut, die besagen, daß die Lemys ein untrügliches Gespür dafür haben, was echte Göttergaben und was nachgemachte sind.
Die Lemys behaupten sogar, daß sie die Gabe hätten, die Melodie der echten Göttergaben zu hören. Doch wir alle wissen doch, daß sie stumm sind.
Oder hören nur wir die Melodie nicht?
Nein, ich bin sicher, daß die Lemys bloß raten. Und wer weiß, wie oft sie schon danebengeraten haben, obwohl es so aussieht, daß sie sich nie irren.
Mir geht es auf einmal nicht gut. Die anderen merken es und bestehen darauf, daß ich mich in die Höhlen zur Heilung zurückziehe. Ich versuche mich zu wehren. Ich werde nicht krank! Nicht ich!
Aber sie treiben mich gewaltsam zum Berg und in die Höhle. Dann bin ich allein an diesem finsteren Ort.
Ich bekomme Schmerzen, die Schmerzen werden schlimmer. Ich schreie vor Qual - und entsetzt stelle ich fest, daß ich meine Stimme verliere.
Ich habe keine Melodie mehr und kann nicht mehr die Melodie der Welt hören. Es ist schrecklich, ich möchte sterben.
Etwas in mir stirbt wirklich. Aber es verhält sich ganz anders, als ich geglaubt habe. Meine Angst legt sich, die Schmerzen bleiben. Obwohl ich das Gefühl habe, bei lebendigem Leib zu verbrennen, bleiben meine Sinne wach, und anstatt zu verkümmern und abzusterben, werden sie nur um so schärfer. Ich habe das Gefühl, als sei ich bisher taub und blind gewesen, und als erwache ich aus einem langen, beständigen Dämmerschlaf.
Hilfreiche Arme strecken sich mir in der Dunkelheit entgegen. Mein Körper, in dem neues Leben heranwächst, wird gelabt. So schmerzensreich meine Verwandlung ist, sie beglückt mich zutiefst. Worte ohne Melodie dringen zu mir, und ich verstehe sie, und sie sind bedeutungsvoller und stärker an Ausdruck als jede Musik.
„Regga, du hast entbunden."
Ich bin erleichtert. Ich kenne jetzt die Bedeutung, Frau zu sein. Es ist keine Krankheit.
Wenn die Anima in einem erwacht und den destruktiven Animus verdrängt, dann ist das wie eine Wiedergeburt. Man sucht die Höhlen nicht auf, weil man sich seines Zustands schämt. Man begibt sich in die Sicherheit der Höhlen, um sich zu schützen.
Denn das Weibliche in uns allein garantiert die Erhaltung unserer Art.
„Wir sind die
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