0943 - Das Vampir-Phantom
leise fluchend wie der auf seine Pritsche zurücksinken. »Es sieht nicht gut aus«, murmelte er. »Verdammt noch mal, es sieht nicht gut aus.« Auf Lucy setzte er keine Hoffnungen.
Aber der Bulle hatte recht gehabt. Der nächste Tag würde für ihn wichtig sein, denn dann erfuhr er auch, ob sein Kumpan lebte oder an der Kugel gestorben war. Nach diesen Gelegenheiten würde sich seine Verteidigung richten.
Etwas Kaltes streifte ihn…
Radonescu lag wieder auf dem Rücken, und er hatte zunächst nicht darauf geachtet. Es konnte auch von ihm selbst stammen, denn des öfteren schon hatten ihn solche Schauer erwischt.
Aber nicht so kalte.
Wieder wurde er berührt, und plötzlich war der Mann nicht nur hellwach, er richtete sich auch auf.
Steif blieb er auf seiner Unterlage hocken, die Hände rechts und links neben sich gegen die Unterlage gestemmt.
Er lauschte.
Nichts war zu hören. Nicht mal irgendwelches Schnarchen aus der Nachbarzelle. Zudem hatte er den Eindruck gewonnen, als hätte sich die Stille verändert. Sie war noch da, aber sie war trotzdem, wenn es den Vergleich überhaupt gab, stiller geworden.
Vollkommen…
Eiswasser befand sich nicht in Radonescus Nähe, dennoch rieselte etwas vom Hals her seinen Rücken hinab, das sich ebenso anfühlte. Eisiges Wasser in feinen, dünnen Strömen, vergleichbar mit den Beinen frostkalter Spinnen.
Der Gefangene wußte nicht, was er noch machen sollte. Es hatte keinen Sinn, wenn er jetzt losschrie und die Wärter verrückt machte, denn was sollte er ihnen erzählen? Daß etwas über seinen Rücken gekrochen war, mit dem er nicht fertig wurde?
Nein, er blieb sitzen, aber die Angst war zu einem Bohrer geworden, dessen Spitze seinen Magen dicht über der Gürtelschnalle erwischt hatte und sich immer tiefer in seinen Körper drehte, wobei ein bitterer und säuerlicher Geschmack seine Speiseröhre hochstieg.
Die Angst blieb und stieg.
Aber wovor fürchtete er sich wie nie in seinem Leben? Was kam da auf ihn zu. Es war nichts zu sehen, nur eben den kalten Hauch hatte er zweimal gespürt.
Irgendwann hatte er das bedrückende Gefühl so weit abgeschüttelt, daß er sich wieder bewegen konnte. Er drehte den Kopf dabei automatisch nach rechts, wo sich die Gittertür schwach abmalte.
Wenn ihn eine Gefahr erreichen wollte, dann von dort.
Aber da war nichts zu sehen.
Irrtum? Bilde ich mir etwas ein? Seine Gedanken rasten. Der Schweiß war ihm ausgebrochen. Er nahm seinen eigenen Körpergeruch sehr intensiv wahr und stellte fest, daß ihm der Gestank von Knoblauch in die Nase stieg.
Er schüttelte sich, wollte sich wieder hinlegen, als er abermals erstarrte.
Radonescu hatte etwas gesehen. Hinter der Tür, im Gang, denn dort bewegte sich etwas.
Eine Wand war es nicht, auch wenn es so aussah, denn es glitt an der normalen Wand entlang. Es war dunkel, nicht zu beschreiben, vielleicht konnte man es als Wolke ansehen.
Und sie rollte lautlos auf seine Tür zu. Es gab kein Gitter, das sie halten konnte. Sie quetschte sich durch die Lücken, veränderte auch ihre Form, aber dicht hinter der Tür und jetzt in der Zelle sah sie wieder anders aus.
Sie war zur Wolke geworden, und sie hatte einen Inhalt.
Inhalt!
Nein, der Rumäne schrie nicht. Es war ihm nicht möglich, da ihm der Anblick die Sprache verschlagen hatte. Auf irgendeine Art und Weise hatte Lucy ihr Versprechen eingehalten, denn sie füllte das Zentrum der Wolke völlig aus…
***
Lucy war da! Sie hatte ihr Versprechen gehalten. Sie stand in seiner Zelle, sie war von dieser Schattenwolke umgeben, die grau aussah und Lucy selbst auch etwas von dem bestimmten Farbton mitgab, aber das war nicht alles.
Da gab es noch etwas hinter, neben oder vor ihr, mit dem der Mann auf dem Bett nicht zurechtkam.
Es war schlimm, es war böse, so kalt, und es schien Lucy zu halten.
Auch eine Gestalt?
Ein bleiches Gesicht, das ihn an einen bösen Engel erinnerte, der aus dem Jenseits zuschaute. Grausam. Verschwommen. Trotzdem zu sehen. Einer im Hintergrund.
Lucy löste sich.
Es sah aus, als hätte sich ihre Gestalt nur kurz geschüttelt, um irgendwelche Tropfen abzuschleudern, die dann zu Boden fielen, aber es waren keine Tropfen, es war sie selbst, die sich aus der Schattenwolke löste und dabei selbst ihre durchscheinende Gestalt verlor, so daß sie feste Umrisse bekam.
Darüber hatte Radonescu nicht mal nachgedacht, weil ihn der Anblick zu sehr geschockt hatte. Es gab auch keine Logik für ihn, das war alles aufgehoben
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