0943 - Das Vampir-Phantom
Manchmal rutschte sie, fing sich aber wieder schnell und vertraute ansonsten voll und ganz ihrem Beschützer.
Er hatte sie gerettet vor diesem blonden Mann mit dem Kreuz. Und sie hatte ihn damals aus dem Sarg geholt, den die Wellen an den Strand gespült hatten.
So waren sie quitt, aber Lucy glaubte dennoch fest daran, daß er auch weiterhin seine schützenden Hände über sie halten würde, denn er stammte aus einer Welt, die der der Menschen überlegen war.
Mehr wußte sie nicht, mehr wollte sie auch nicht wissen. Es reichte völlig aus, daß sie unter der Kontrolle des Vampir-Phantoms stand.
Die Natur hatte es an dieser Stelle der Hügels besonders gut gemeint und sich verdichtet. Es war nicht einfach für sie in ihrem langen Kleid, sich einen Weg zu bahnen, denn oft genug zerrten kleine Zweige am Stoff des Kleides, als sollte sie daran gehindert werden, das unheimliche Innere des Hügels zu betreten.
Lucy gab nicht auf.
Es hörte sich an, als wäre ein Tier dabei, sich den richtigen Weg zu suchen, und die Untote war schließlich zufrieden, als sie den Eingang entdeckte.
Man mußte ihn schon wirklich kennen, um ihn finden zu können. Dichtes Gesträuch hielt ihn vor den Blicken der Menschen verborgen, so dicht wie eine Mauer, die aber durchbrochen werden konnte. Lucy stemmte sich gegen die starren Zweige, und sie spürte, wie diese allmählich nachgaben Lind nach innen fielen.
Mit den Händen räumte sie letzte Hindernisse zur Seite, dann konnte sie in den Hügel hineingehen.
In eine unheimliche, stockdunkle Welt, in der es eine besondere Art von Leben gab, wie Lucy schon spürte, denn ihr schwang etwas entgegen, das sie selbst ausstrahlte: Friedhofsgeruch, der Gestank der Toten, der Gestank von verfaulendem Fleisch, in dem kein Blut mehr floß, aber trotzdem noch Leben steckte.
Der Gang war groß genug, um Lucy aufrecht weitergehen zu lassen. Sie kannte sich gut aus und hatte nichts vergessen, deshalb war sie auch nicht überrascht, als ihre Hände plötzlich den Widerstand des Maschendrahtes fanden, den sie quer gespannt hatte.
Zu sehen war er nicht, aber er trennte zwei Welten voneinander, denn hinter ihm preßte sich all das Grauen zusammen, das die blutige Lady hinterlassen hatte.
Es war für sie zu fühlen und zu hören. An ihre Ohren drangen die unheimlichen Geräusche. Da schabten Krallen über den Boden. Sie hörte ein klagendes Stöhnen, aber noch weiter von ihrem Standort entfernt. Sie wußte, daß es sich ändern würde, und sie wollte es sehen.
Lucy Tarlington hatte alles vorbereitet. Im Dunkeln fand sie sich ausgezeichnet zurecht. Sie hatte sich gebückt. Zielsicher erreichte ihre rechte Hand den Leuchter mit den beiden Kerzen. Sie stellte ihn dicht vor sich und nahm auch die Zündhölzer hoch, die auf dem Boden für sie bereit gelegen hatten.
Leider waren sie feucht geworden, so daß Lucy Mühe hatte, das erste Hölzchen anzuzünden.
Schließlich sah sie die Flamme, wurde sogar von ihr geblendet und schirmte sie ab, denn der durch das Gebüsch dringende Wind sollte sie nicht löschen.
Der erste Docht fing Feuer. Mit ihm zündete sie auch den zweiten an. Die Umgebung erhellte sich, und Lucy sah noch den zweiten Leuchter mit den anderen beiden Kerzen.
Auch ihre Dochte erhielten Nahrung, und sie lächelte, als sie in die Höhe schaute, wo die innere Decke des Hügels tanzende Flecken bekommen hatte.
Aber nicht nur nach oben reichte das flackernde Licht, es strahlte auch nach vorn zum Maschendrahtgitter. Der Widerschein ließ das Geflecht anders aussehen, sogar wertvoll, denn es hatte einen rötlichgoldenen Schimmer angenommen.
Lucy war nicht ganz zufrieden. Sie wollte mehr sehen und auch hinter das Gitter schauen.
Aus diesem Grunde brachte sie die beiden Leuchter so dicht an die Abtrennung wie möglich und wartete ab, was geschah.
Im Hügel versteckt lagen ihre Leute, die sie aus Rumänien mit Hilfe ihrer beiden vertrauten Fluchthelfer hereingelotst hatte. Leider gab es die zwei nicht mehr. Sie waren nach dem Mord an dem Fotografen Sam Fisher erwischt worden. Aber einer zumindest hatte seine Vampirexistenz verloren.
Lucy Tarlington berührte mit ihrem Gesicht den Drahtzaun.
Sie schaute nach vorn und wartete.
Und dann hörte sie die ersten Geräusche.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie kamen, das Licht lockte sie, und Lucy steckte voll wilder Freude. Denn jetzt endlich ging es voran. Man würde wieder zittern.
Zittern vor der blutigen Lucy und ihren
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