0943 - Herren aus der Tiefe
prallte sie mit dem Rücken gegen die weiß verputzte Wand und konnte sich kaum noch rühren, spürte Gryfs warmen Leib an dem ihren, roch seinen Duft…
»Hi auch«, flüsterte der Druide und grinste wie ein Schuljunge, der ein wenig zu forsch vorgegangen war.
»Wo ist Andy?«, formte Jenny Worte mit dem Mund.
»Hat doch gekniffen«, antwortete Gryf leise. »Als Bulle des NYPD könne er nicht unangemeldet beim Bürgermeister erscheinen. Kein Police Department des Landes würde ihn dann noch einstellen. Blablabla.«
Jenny kochte. »Ach, und ich darf hier wieder mal meinen Leumund und mein makelloses Strafregister aufs Spiel setzen, oder wie?«
»Nun haben Sie sich nicht so, Jenny«, sagte er schmunzelnd. »Sie sind eine Jägerin. Ihnen macht das genauso viel Spaß wie mir.« Dabei kratzte er sich am Oberkörper, wodurch sein Handrücken versehentlich über ihre rechte Brust strich.
Sofort lief Gryf rot an. »Ich meinte die Mörderjagd«, stieß er hervor, entsetzt über sich selbst. »Wirklich. Ich… Verzeihen Sie.«
Nun war es an ihr, zu schmunzeln. Hatte er ihre Drohung vom Vortag also nicht vergessen. »Keine Sorge, Don Juan. Ihre Masche zieht bei mir ohnehin nicht. Aber in der anderen Sache gebe ich Ihnen recht, wenn auch widerwillig: Ich nehme wirklich ungern ein Nein als Antwort hin, wenn ich weiß, dass sie eigentlich Ja lauten muss. Das macht wohl einen guten Reporter aus.«
Gryf nickte, sah sie aus eigenartig funkelnden Augen an und öffnete die Schranktür.
***
»Ach, wissen Sie, Jimmy, das ist doch nur hohles Geschwätz.«
Die Stimme kam von weiter hinten. Von dort, wo das Licht der mittäglichen Sonne durch strahlend saubere Fensterscheiben fiel und das Innere des edlen Anwesens in warme, herzliche Farben tauchte. Gryf sah zu Jenny und deutete ihr, vorsichtig zu sein. Roslin telefonierte. Wenn sie schlau waren, machten sie ihn erst auf sich aufmerksam, nachdem er aufgelegt hatte.
»Nein, vergessen Sie's«, sagte der Bürgermeister gerade mit Nachdruck. »Danke für die Einladung, aber ich halte es für keine gute Idee, die Mühlen des Boulevards mit noch mehr Wasser zu versorgen. Wenn ich bei Ihnen auftrete, heize ich doch nur die Maschinerie weiter an, wegen der ich mich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen habe.«
Gryf und seine bildhübsche Begleitung huschten durch ein weitläufiges Wohnzimmer, der Quelle dieser Stimme entgegen. Der Raum war beeindruckend: kostbare Gemälde an den Wänden, weiße Statuen auf geschmackvollen Ständern in den Ecken, dicke Vorhänge, ein weicher Teppich. Schon allein die Möbel wirkten, als habe sich ein konservativer Innenarchitekt mit diesem Zimmer einen feuchten Traum erfüllt.
Als der Druide um eine Ecke lugte, sah er ihn. Roslin befand sich in einer Art Studierzimmer, saß seitlich auf der Kante eines teuer aussehenden Schreibtisches und sprach in ein schnurloses Telefon. Trotz der zweifelsfrei erzwungenen Lässigkeit in seiner Stimme wirkte er, als habe Astaroth persönlich ihn zerkaut und wieder ausgespuckt. Sein schütteres Haar war zerzaust und ungepflegt, sein dunkelblauer Maßanzug so zerknittert, wie sein Hemd fleckig war, und dem Aschenbecher, der neben ihm auf dem Tisch stand, und der buchstäblich dicken Luft nach zu urteilen, rauchte er seit Stunden Kette. Roslin hatte Augenringe, die dem Grand Canyon Konkurrenz machen konnten.
»Ja… Ja, danke, Jimmy. Ihnen auch. Und seien Sie versichert, dass ich Late Night heute mit viel Freude schauen werde.« Roslin trennte die Verbindung und seufzte.
Gerade als Gryf sich räuspern wollte, wählte der Bürgermeister eine neue Nummer und hielt sich den Hörer wieder ans Ohr. Nach wenigen Sekunden begann er zu sprechen. »Ich bin's. Ich… Ich habe es mir anders überlegt. Verkaufen Sie. Doch, Sie haben richtig gehört, schaffen Sie's mir vom Hals… Was? Hören Sie, Mister, wir sprechen hier immer noch von meinem Eigentum, klar? Also kann ich darüber verfügen, wie ich will! Ja, Sie mich auch.« Bevor sein Gesprächspartner den offensichtlichen Protest fortführen konnte, legte Roslin auf.
Gryf wandte sich kurz ab und zwinkerte Jenny zu. »Zeit für unseren Auftritt«, hauchte er nahezu tonlos.
Die junge Journalistin mit den reizenden Augen nickte konzentriert.
Kaum hatten sie und Gryf sich aus ihrer Deckung begeben, starrten sie schon in den Lauf eines schwarzen Revolvers, der im Schein der Sonnenstrahlen glänzte. Hinter ihm stand Roslin - ein sehr übermüdeter, sehr nervöser und sehr
Weitere Kostenlose Bücher