0944 - Blutgespenster
ein. Sie hatte den Mann gesehen, hatte seine Stimme gehört, und sie wußte, daß sie keiner Täuschung erlegen war. Der Druck an ihrem Kopf stammte nicht von einem Finger, sondern von der Mündung einer Waffe.
»Verstanden?«
»Ja. Aber wer bist du?«
»Ich heiße John Sinclair!«
»Auch du wirst hier sterben!«
Das hatte man mir schon oft genug gesagt. Ich kümmerte mich nicht mehr darum. »Das Kind!« flüsterte ich und drückte noch stärker zu.
»Ja, ist gut!« Lucys Hand löste sich aus dem Nacken der Kleinen, aber sie hatte noch einen Trick auf Lager, denn sie schleuderte das Mädchen zur Seite, und es stolperte bis zur Wand, wo es gestoppt wurde.
Ich schoß nicht.
Damit hatte die blutige Lucy gerechnet, und sie hatte sich auch wieder gefangen, denn die kicherte, bevor sie sprach. »Na, bist du jetzt zufrieden, Sinclair? Nein, du kannst es nicht sein. Du weißt zuwenig, du weißt nichts, gar nichts.«
»Geh zurück!« sagte ich. Sie hatte tatsächlich so etwas wie einen wunden Punkt bei mir getroffen.
Ich kannte die Zusammenhänge noch nicht, aber ich hatte bereits das Monstrum gesehen und fragte mich, ob diese Mutation zwischen Mensch und Fledermaus tatsächlich das Vampir-Phantom war.
Sie ging, ich folgte ihr, und die Mündung der Beretta blieb dicht an ihrem Kopf.
Lucy hockte auf dem Boden. Sie wollte nicht mehr weglaufen. Sie tat gar nichts. Ihr Blick war ins Leere gerichtet. Das seltsame Licht hinter der Mutation ließ sie aussehen wie einen Geist.
Lucy hielt den Kopf leicht schräg. Ihr Mund stand offen. Die Vampirzähne schimmerten. In der Ecke sah ich ihr Kleid liegen, und ich mußte zugeben, daß sie einen phantastischen Körper hatte.
Mich interessierte jetzt mehr ihr Beschützer, denn woher er stammte, das wußte ich leider nicht. Es konnte durchaus sein, daß sich irgendeine Gruppe von Blutsaugern zusammengerottet hatte, über die mir noch nichts bekannt war. Und er sah auch weniger aus wie ein Phantom, sondern mehr wie eine Echse.
»Auf den Boden!« befahl ich. »Und auf den Bauch mit dir!«
Die blutige Lucy gehorchte. Sie zuckte aber zurück, als sie in die Nähe meines Kreuzes geriet, denn eine Berührung mit diesem Gegenstand war für sie absolut tödlich.
Als sie so lag, wie ich es haben wollte, blieb ich dicht neben ihr stehen, hielt aber die Mündung der Beretta schräg nach unten gerichtet und wollte mich endlich um das Blutgespenst kümmern.
Es kam mir zuvor, und zwar auf eine Art und Weise, mit der ich nie und nimmer gerechnet hätte. Er bewegte sich, was in seinem Fall sogar normal war, aber dann geschah etwas, das selbst mich überraschte. Plötzlich schälte er sich aus seiner grünlichen Echsenhaut, die tatsächlich so etwas wie ein Kostüm war. Auch die Arme verloren die Haut. Es gab keine Krallenhände mehr. Er schüttelte sein Kostüm ab, die Flügel verschwanden, und wenig später stand jemand vor mir, der auf den ersten Blick aussah wie ein Durchschnittsbürger.
Dunkel gekleidet, mit ebenfalls dunklen Haaren über dem bleichen Gesicht und einem Mund, der sich plötzlich zu einem Lächeln verzog, was mich irritierte.
Ich sah dieses Lächeln trotz der Finsternis. Es war wissend, es war auch irgendwo böse, und der Blick seiner Augen erinnerte mich an das Licht kalter Laternen.
Mein Mund war trocken geworden. Ich wußte selbst, daß ich hier etwas erlebte, das völlig neu für mich war. Ich kam damit nicht zurecht. Hier stand ein Machtfaktor vor mir, der mit einem Dracula II nicht zu vergleichen war.
Neben mir bewegte sich die fast nackte Lucy. Ich stellte blitzschnell einen Fuß auf ihren Rücken, und sie lag starr. Aber sie hatte gesehen, was vor ihr passiert war, und sie lachte deshalb leise auf und flüsterte vom Boden hoch. »Er ist gut, er ist besser! Er ist ein Phantom der Zeit. Er kann durch die Zeiten reisen. Und du wirst ihn nicht halten können. Niemand kann ihn halten…«
»Wer bist du? Welche Macht steht hinter dir?« unterbrach ich spontan.
Der Blutsauger lächelte. »Ich bin ein Phantom aus der Vergangenheit. Ich habe den Weg der Unsterblichkeit gefunden. Ich bewege mich durch die Zeiten. Nur einmal hat man mich überwinden können und dem Wasser übergeben, aber ich kam frei, und ich werde weiterhin frei sein, das kann ich dir versprechen.«
Log er? Stimmte es?
Ich kam damit nicht zurecht, weil ich einfach zu wenig von ihm wußte.
»Du hast mich doch gesucht, nicht wahr?« flüsterte er mir zu.
»In der Tat, das habe ich.«
»Und jetzt
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