0947 - Das Voodoo-Weib
das Auto herum. Für die Eigentümer eine traurige Sache. Und die Täter? Ihnen fehlte jegliches Unrechtsbewußtsein.
Grölend, johlend, viele angetrunken, so durchwanderten die Gruppen die Straßen. Ich war sicher, daß einige der Mitgeher überhaupt nicht wußten, was der eigentliche Grund der Randale war. Ihnen kam es nur darauf an, irgendwas zu zerstören.
Wir hatten uns in den schmalen Durchlaß eines Geschäftes gestellt. Nicht weil wir die Randalierer so interessant fanden, nein, von diesem Platz aus konnten wir die Hölle schräg gegenüber beobachten. Wir hatten bereits einige Minuten hier verbracht, und zumindest Suko und mir war etwas Bestimmtes aufgefallen. Mein Freund sprach mich darauf auch an. »Sie schlagen überall zu, nichts ist vor ihnen sicher. Bis auf ein Lokal.«
»Die Hölle«, sagte ich.
»Genau.«
Bayou hatte uns zugehört. Er stand neben mir, die Hände in den Taschen vergraben. Er zitterte leicht und tanzte auf der Stelle hin und her, ob vor Kälte oder Furcht, das wußten wir nicht. »Es ist doch klar«, sagte er, »daß sie die Hölle nicht zerstören. Jeder, der hier lebt, der weiß genau, was es mit der Hölle auf sich hat. Daß er sich auf keinen Fall an diesem Voodoo-Weib vergreifen darf. Tut er es doch, wird er gewaltigen Ärger bekommen.«
»Das ist sicher?«
»Aber klar.«
»Aber Leonora wird in die Randale nicht mit einbezogen?«
»So ist es.«
»Warum nicht?«
Bayou hob die Schultern. »Da kann ich auch nur raten. Das sind ja zwei verschiedene Paar Schuhe. Was der Mob hier tut, ist etwas Weltliches, sagte ich mal. Leonora aber verfügt über andere Kräfte, und sie hat auch andere Dinge im Kopf, als zu randalieren und zu streiten. Nein, nein, sie macht es schon auf ihre Art und Weise.«
»Was tut sie denn hier?«
»Ich kenne sie ja auch nicht so gut. Aber für manche Menschen ist sie so etwas wie ein weiblicher Mafia-Pate. Die kommen zu ihr, wenn sie Probleme haben, mit sich selbst, ihren Kindern oder ihren Verwandten. Wenn diese krank sind, zum Beispiel. Dann hat Leonora immer einen Rat für sie oder eine geheimnisvolle Medizin, einen Trank, wenn es denn wirksam ist. Da kennt sie sich auch aus. Ihr habt immer von einer Kräuterhexe gesprochen, ihr Weißen, und so etwas Ähnliches ist Leonora noch ganz nebenbei. Sie ist stark, ihre Kenntnisse gigantisch.«
»Das glaube ich dir aufs Wort.«
Unser Gespräch versickerte. Ich wollte noch mal die Außenseite der Hölle genauer betrachten. Man hatte tatsächlich etwas getan, um diesem Namen gerecht zu werden.
Den Schmutz der Hausmauer oder auch irgendwelche Lücken darin bekamen wir nicht zu sehen, weil die Mauer um die Tür herum und auch darüber angestrichen worden war.
Flammenzungen in verschiedenen rötlichen Schattierungen umgaben den Bereich des Eingangs. Das fing bei einem sehr tiefen und dunklen Rot an, ging weiter in hellere Regionen und setzte sich dort auch noch fort, bis die Farbe in einem düsteren Gelb endete, das die Spitzen der gemalten Flammen umtanzte.
Und wer genau hinschaute, der entdeckte in den Feuerzungen auch die schrecklichen Fratzen. Abbilder irgendwelcher Dämonen aus den finsteren Voodoo-Reichen.
Herrscher über Tote, über Untote und über den gesamten Zauber, der zu diesem Bild gehörte.
Die zumeist jungen Menschen zogen in Gruppen vor uns vorbei. Sie gingen weiter, benutzten die Straße, schlugen hier und da gegen die Scheiben, auch weiterhin auf Autos ein, brüllten ihre Parolen und wurden wie von einer gewaltigen Woge erfaßt über den Weg getrieben.
Nahe der Hölle oder direkt in ihr änderte sich nichts. Seitdem wir sie unter Kontrolle hielten, war nicht mal die Tür geöffnet worden. Weder von außen, noch von innen. Dieses Lokal war wirklich tabu. Wir hatten leider auch nicht herausfinden können, ob sich noch Gäste hinter der Tür und hinter den ebenfalls mit Flammen bemalten Fenstern aufhielten.
»Ist sie da?« fragte ich Bayou.
Er nickte. »Sie ist immer da, John. Sie wartet, und ich weiß nicht, auf was sie wartet.«
»Auf uns?« fragte Suko.
Bayou verzog den Mund. »Das kann sein. Sie wird wissen, daß sich ihr jemand nähert. Vielleicht hat sie uns schon gesehen. Bei ihr ist alles möglich. Da ist sie wie eine Frau mit tausend Augen.«
»Hast du sie eigentlich schon gesprochen?« wollte ich von meinem Kollegen wissen.
»Nein, noch nie.«
»Warum nicht?«
»Ich habe mich nie in ihre direkte Nähe getraut, weil ich immer das Gefühl hatte, von ihr durchschaut zu
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