095 - Der leuchtende Schlüssel
die Aussicht, soviel Geld auf einmal zu verdienen, hat mich auf die Idee gebracht, daß wir beide uns doch verloben und heiraten könnten.«
Mary nahm die Puderquaste.
»Ich werde noch eine sehr erfolgreiche Schauspielerin werden.«
»Du bist es schon. Du hast es fertiggebracht, daß dir ein großes Genie einen Heiratsantrag macht.«
»Weißt du, wovor ich mich fürchte?«
»Ich wüßte nicht, wovor du dich fürchten solltest, wenn es nicht die Hochzeit ist.«
»In der letzten Zeit ist mir öfters der Gedanke gekommen«, entgegnete sie ernst, »daß dein Onkel mir all sein Geld hinterlassen könnte.«
Er lachte leise.
»Deshalb lasse ich mir keine grauen Haare wachsen. Aber warum kommst du gerade jetzt darauf?«
Sie war mit ihrer Garderobe fertig und schob den Wandschirm beiseite.
»Einmal hat er so etwas Ähnliches gesagt«, entgegnete sie nachdenklich und biß sich auf die Unterlippe. »Und als ich das letzte Mal bei ihm war, hatte ich den Eindruck, daß er dich ungeheuer haßt. Schon allein um dich zu ärgern, wird er mir sein Vermögen hinterlassen, und das wäre entsetzlich.«
Er starrte sie verwundert an.
»Aber um Himmels willen, warum denn?«
»Dann wäre ich gezwungen, dich zu heiraten.«
»Du meinst, nur um dem Alten ein Schnippchen zu schlagen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber es wäre schrecklich.«
»Ich glaube, du machst dir unnötige Sorgen. Der Alte wird wahrscheinlich sein Geld eher einem Hundeheim als mir oder dir vermachen. Hast du ihn in letzter Zeit öfters gesehen?«
Sie erzählte ihm von ihrem letzten Besuch, aber das wußte er schon alles.
Während sie sich noch unterhielten, klopfte es an die Tür. Mary erhob sich schon halb, weil sie dachte, ihr Auftritt wäre gekommen. Als aber noch einmal geklopft wurde, rief sie: »Herein!«
Leo Moran erschien in der Tür. Er warf Dick einen verschmitzten Blick zu.
»Sie hätten sich lieber meine Rede im Radio anhören sollen, als Ihre Zeit im Theater zuzubringen«. sagte er.
»Haben Sie schon wieder einen Vortrag gehalten?« fragte Dick lächelnd. »Muß man sich so elegant anziehen, wenn man vor dem Mikrophon steht?«
»Ich gehe zu einem Souper.«
Es klopfte wieder, und sie hörten die helle Stimme des Pagen, der Miss Lane zur Bühne rief. Mary eilte hinaus. Sie war froh, daß sie sich entfernen konnte, denn in Morans Gegenwart fühlte sie sich nie behaglich.
»Haben Sie das Stück schon gesehen?« fragte Dick.
Moran nickte.
»Ja. Es ist eine Strafe, das entsetzlichste Stück in ganz London. Ich wundere mich nur, daß der alte Mike es nicht endlich vom Spielplan absetzt. Er muß einen sehr kapitalkräftigen Hintermann haben, daß er das durchhalten kann.«
»Haben Sie schon einmal von Washington Wirth gehört?«
Leo Morans Gesicht war ausdruckslos.
»Nein. Wer ist das - ein Amerikaner?«
»Jedenfalls ein ungewöhnlicher Mann. Ich habe neulich einmal nachgerechnet, daß er allein bei diesem Stück mindestens zehntausend Pfund verloren haben muß. Und ich kann nicht einsehen, warum er darauf versessen ist, es weiterzuspielen. Mary ist die einzige Schauspielerin in der ganzen Truppe, die etwas taugt, und sie ist noch nicht einmal mit ihm befreundet.«
»Washington Wirth? Der Name kommt mir doch bekannt vor.« Moran sah auf die Wand. »Ich muß von ihm gehört oder in der Zeitung über ihn gelesen haben. Übrigens habe ich heute einen alten Freund von Ihnen gesehen, Surefoot Smith. Sie waren doch dabei, als der ermordete Tickler aufgefunden wurde?«
Dick nickte.
»Der Chefinspektor behandelte mich, als ob ich ein Mittäter wäre.«
»Nun, da können Sie sich trösten. Mich hat er neulich behandelt, als ob ich der Mörder selbst wäre. Haben Sie ihm auch Bier zu trinken gegeben?«
Leo Moran ging zur Tür, öffnete sie, sah den Korridor entlang und schloß sie dann wieder.
»Dick, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.«
Dick grinste.
»Nichts würde mir größeren Spaß machen, als einem Bankdirektor etwas abzuschlagen.«
»Reden Sie keinen Unsinn. Es hat nichts mit Geld zu tun. Nur -«
Er hielt plötzlich inne, als ob er seine nächsten Worte sorgfältig wählen müßte.
»Es ist möglich, daß ich eine oder zwei Wochen nicht in London bin. Mein Urlaub ist fällig, und ich möchte aufs Land gehen. Würden Sie so freundlich sein, die Post aus meiner Wohnung abzuholen und aufzuheben, bis ich wiederkomme?«
»Warum lassen Sie sich denn die Post nicht nachschicken?« fragte Dick erstaunt.
Leo Moran
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