0953 - Der Fluch von Eden
Nele.
Er wirkte enttäuscht, als er erwiderte: »War es das?« Sein Blick ging kurz zum Himmel, und Nele spürte, wie er eine stumme Frage dorthin richtete, die aus einem einzigen Wort bestehen mochte:
WARUM?
***
Das Jahr 1212 neigte sich seinem Ende entgegen. Einige Hundert Anhänger waren Nikolaus in Genua verblieben. Sie campierten am Strand und wurden von einer Minderheit Ortsansässiger, die die kindlichen Kreuzfahrer bewunderten und deren Vorhaben nach wie vor unterstützenswert fanden, mit dem Allernötigsten versorgt.
Nikolaus war täglich unterwegs, um Kapitäne einlaufender und ausfahrender Galeeren dazu zu überreden, sie mit nach Tunis oder Tripolis auf der anderen Meerseite zu nehmen. Von dort aus wollte er sich wie gewohnt zu Fuß bis nach Jerusalem durchschlagen.
Nele hielt weiter zu ihm, obwohl sie unter dem Verschwinden von Julius litt, der nicht wieder aufgetaucht war. Sie hoffte, dass es ihm gut ging, dass er vielleicht sogar mit anderen zurück ins sein Herkunftsland gezogen war - alles war ihr lieber als der Gedanke, er könnte irgendwelchen Halsabschneidern in die Hände gefallen sein.
Um die Weihnachtszeit kam unverhofft Bewegung in ihre Lage. Ein Fremder trat in Verhandlungen mit Nikolaus. Er bot ihm sichere Überfahrt nach Alexandria an - von dort wäre es nur noch ein Katzensprung bis nach Jerusalem.
Der Fremde gab sich als Eigentümer einer kleinen Handelsflotte aus, die in Kürze in See stechen würde. Als einzigen Lohn auf den Gefallen erbat er sich himmlische Gunst. Glück auf allen Wegen für sich und seine Geschäfte.
Nikolaus erklärte ihm, dass Gott nicht bestechlich sei - aber es gewiss jedem vergelten würde, der den künftigen Befreiern Jerusalems auf ihrer Wallfahrt half.
Das schien dem Unbekannten zu genügen.
Sie trafen eine Verabredung, sich in drei Tagen zur Abendstunde im Hafen einzufinden. Der Fremde wollte dort sein und die Kreuzfahrer auf die bereitstehenden Galeeren verteilen.
Nele war von Anfang an skeptisch, konnte damit aber nicht zu Nikolaus durchdringen. Endlich, glaubte er, ging es voran. Endlich würde er sich wieder voll und ganz seiner heiligen Bestimmung widmen können!
***
Die Galeere hieß La Caduta dell'Angelo - Gefallener Engel .
Nele fand nicht, dass das ein gutes Omen war, und ihre Skepsis wuchs noch mehr, als sie den Capitano kennenlernte, einen aalglatten Italiener mit lackschwarzem Haar und Augen, die unablässig wie im Halbschlaf auf alles und jeden blickten. Als wären die Lider zu schwer, hingen sie tief über die Pupillen. Dennoch erweckte der mittelgroße, schlanke Mann nicht den Eindruck, als würde ihm irgendetwas in seiner Umgebung entgehen.
Er hieß Adamo Rossi und war nicht mit jenem Fremden identisch, mit dem sich Nikolaus einige Male getroffen hatte. Der Eigentümer der Flotte hatte Nikolaus schließlich an Rossi verwiesen, damit dieser alles Organisatorische mit ihm bespreche. Der Comandante schien die rechte Hand des Eigentümers zu sein; beide waren des Deutschen sehr gut mächtig, was auf rege Handelsbeziehungen mit Neles und Nikolaus' Heimat schließen ließ.
Capitano Rossi empfing Nikolaus und Nele an Bord, nachdem auch der letzte der Wallfahrer Platz auf einem der Segler gefunden hatte.
»Ich danke Euch für Euer selbstloses Handeln«, sagte Nikolaus, nachdem sie von einem vollbärtigen Seemann in Rossis Kajüte geleitet worden waren.
»Schon gut, schon gut«, wiegelte der Kapitän ab, wobei seine Blicke fast ausschließlich Nele galten - was ihr von Anfang an missfiel. Adamo Rossi starrte sie nicht wie einen Menschen an, sondern…
Sie hasste das Wort, aber es passte in diesem Fall wie die Faust aufs Auge .... wie eine Sklavin.
Sie versuchte, Nikolaus auf das ungebührliche Starren des Capitanos aufmerksam zu machen, aber seit sich das Blatt für seine Sache gewendet zu haben schien, war Nikolaus nur noch schwer zugänglich für kritische Argumente.
»Wann stechen wir in See, Kapitän?«
»Morgen, gleich nach Sonnenaufgang. Eure Schäfchen werden mit allem Nötigen an Bord der sieben Schiffe versorgt, die gemeinschaftlich aufbrechen. Eine Flotte bietet die größtmögliche Sicherheit, denn…« Er tupfte sich mit einem Tuch über die Oberlippe, auf der Schweiß perlte. »… leider ist diese Welt nicht nur von guten, gottesfürchtigen Männern bevölkert. Da draußen auf See herrscht das Gesetz des Stärkeren. Wir könnten es mit Piraten zu tun bekommen - ich bin ihnen auf meinen Fahrten mehr als einmal
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