0956 - Die Todeszone
noch nicht so recht glauben, dass ihr improvisierter Plan tatsächlich funktioniert hatte. Und jetzt waren sie im Zentrum des Geschehens - und immer noch keinen Schritt weiter.
»Na großartig«, murmelte die Reporterin. »Da riskieren wir Leib und Leben, nur um ein paar gelangweilten Milchbubis beim Wacheschieben zuzusehen. Ganz große Leistung, Paula.«
»Na na, wer wird denn so schnell aufgeben?«, fragte Fernando grinsend. Der Fotograf war jetzt ganz in seinem Element. Mit der Virtuosität eines Klavierspielers ließ er die Finger über die Tastaturen tanzen. Die Bilder auf den Bildschirmen wechselten dazu im Sekundentakt. »Wir haben noch nicht alles gesehen.«
»Halt, was ist das?«, rief Paula plötzlich. »Geh noch mal zurück. Genau, das da!«
Sie starrten auf einen kargen Raum, der an die typischen Verhörzimmer in Krimiserien erinnerte. Gerade war er noch leer gewesen, aber Paula hatte beim Weiterschalten eine plötzliche Bewegung an der Tür bemerkt. Tatsächlich betraten jetzt mehrere Männer den Raum. Es waren zwei Soldaten, die einen dritten Uniformierten zum Tisch führten. Selbst auf dem Überwachungsmonitor konnte Paula erkennen, dass der Mann Schlimmes durchgemacht haben musste. Sein linker Arm und Teile des Gesichtes waren bandagiert. Mit weit aufgerissenen Augen stierte der Soldat ins Leere und schien seine Begleiter kaum wahrzunehmen.
Die Wachen pressten den Mann unsanft auf einen Stuhl und postierten sich dahinter. Kurz darauf betraten zwei weitere Männer den Raum, ein kolumbianischer Offizier und ein hagerer Zivilist, der unschwer als US-Amerikaner zu erkennen war.
»Was macht denn der Yankee hier?«, fragte Fernando.
»Keine Ahnung, aber die mischen doch überall mit«, gab Paula zurück. Möglicherweise war der Zivilist ein Militärberater, vielleicht arbeitete er auch für die CIA oder die DEA(Drug Enforcement Administration, US-Drogenbekämpfungsbehörde). Auf jeden Fall schien er mehr, als ein bloßer Beobachter zu sein. Paula entging nicht die Mischung aus Respekt und Misstrauen, mit der ihn die anderen behandelten.
Der Offizier - soweit die Reporterin erkennen konnte, ein Coronel(Colonel) - begann das Verhör. Paula konnte nicht hören, was er sagte, aber der angesprochene Soldat reagierte überhaupt nicht.
»Gibt es dazu auch Ton?«
»Moment, warte!« Fernando drehte an ein paar Reglern, und plötzlich konnten sie die Männer so gut verstehen, als befänden sie sich im selben Raum.
»Was habt ihr da draußen gesehen, Jesús?«, fragte der Coronel.
Der Soldat starrte seinen Vorgesetzten verständnislos an. Speichel lief ihm aus dem rechten Mundwinkel.
»In der Zone, Sargento(Sergeant). Was war in der Zone?«
Jesús wandte den Kopf ab und blickte auf die leere Wand. Seine Lippen bewegten sich, und dann begann er leise zu summen. Es klang wie ein Kinderlied.
»Zwecklos«, seufzte der Offizier. »Vielleicht ist er da draußen einfach durchgedreht und hat die anderen umgebracht.«
»Und was sollte diesen plötzlichen Irrsinn ausgelöst haben, Coronel?« Lässig warf der Zivilist eine dünne Mappe, die er bisher in der rechten Hand gehalten hatte, auf den Tisch und tippte mit dem Zeigefinger darauf. »Sargento Jesús Perdito, ein Soldat, wie er im Buche steht. Kein Hinweis auf psychische, familiäre oder finanzielle Probleme irgendwelcher Art. So jemand dreht nicht einfach durch und schlachtet seine Kameraden ab.«
Der Yankee setzte sich neben Jesús Perdito, packte dessen Kinn und sah seinem gepeinigten Gegenüber direkt in die Augen. »Was hast du da draußen gesehen, mein Freund? Was hat dieses erbarmungswürdige Wrack aus dir gemacht? Waren es vielleicht… Dämonen?«
»Dämonen?«, echote Fernando fassungslos. Paula brachte ihn mit einer knappen Geste zum Schweigen. Selbst auf dem kleinen Bildschirm konnte sie erkennen, wie die erloschenen Augen plötzlich aufglühten. Irgendwie war es diesem verdammten Yankee gelungen, zu Jesús Perdito durchzudringen. Der Sargento begann plötzlich hemmungslos zu schluchzen. Der Zivilist nahm den zitternden Soldaten wie ein Kind in den Arm und tätschelte seinen Rücken. Und dann begann Jesús zu reden. Wie ein Wasserfall sprudelten die Worte über seine Lippen, doch so leise, dass nur der US-Amerikaner sie verstand.
»Verdammt, geht das nicht lauter?«, fluchte Paula. Fernandos Finger tanzten über das Keyboard. Mit einem Joystick zoomte er das Bild näher heran, doch der Redeschwall des Soldaten blieb unverständliches Gemurmel.
Weitere Kostenlose Bücher