0956 - Die Todeszone
irritiert. Für seinen kühl-analytischen Verstand musste die Parapsychologie etwa so seriös erscheinen wie ein Menschenopfer zur Verbesserung der nächsten Ernte.
»Was schreibt sie?«
»Offenbar handelt es sich um eine erste Kontaktaufnahme, ein verzweifelter Hilferuf an einen Unbekannten. Sie stellt sich kurz vor und berichtet über ihr Eindringen in den abgesicherten militärischen Bereich und den Tod ihres Begleiters. Sie hat einige Fotos als Beweis angehängt. Verdammt, Sir, ist diese Monsterpranke etwa echt?«
Wie die meisten an der Operation beteiligten, hatte Perry Adams nur eine vage Vorstellung von dem, was in Amazonien vor sich ging. Doch darum konnte sich Devaine jetzt nicht kümmern. Er ignorierte die Frage, und Adams war klug genug, nicht nachzuhaken.
»Wissen wir, von wo aus sie schreibt?«
»Wir arbeiten daran, Sir. Müsste gleich reinkommen.« Devaine hörte, wie Adams auf die Tastatur hackte, dann meldete er sich erneut. »Da ist es schon: Der Anschluss gehört einem gewissen Stefano Temesco - und er befindet sich in Bogotá!«
Sehr gut , dachte Devaine. Das machte es einfacher.
»Soll ich die E-Mail abfangen?«
»Nein. Lassen Sie sie rausgehen.«
»Sir?«
»Sie haben mich gehört«, sagte Devaine. »Aber stellen Sie ein Einsatzteam zusammen.«
Vielleicht war es sogar ein Segen, dass Paula Vásquez ihnen entkommen war. »So wie ich Zamorra einschätze, wird er sich die Sache persönlich ansehen. Warten Sie ab, bis er eintrifft. Und dann nehmen Sie alle zusammen fest.«
***
»Sie sind was nicht?«
Irritiert starrte Zamorra auf das Visofon, aus dem ihn eine schrille Frauenstimme unvermittelt angekreischt hatte, sobald er den Anruf entgegengenommen hatte. Vielleicht hätte er das einfach nicht tun sollen.
»Ich bin nicht die Sekretärin des feinen Herrn Professor!«
»Ja, aber -«
»Das heißt, ich bin schon die Sekretärin des Herrn Professor, nur nicht Ihre, Herr Professor!«
»Aber das habe ich doch auch nie behauptet. Wer um alles in der Welt sind Sie denn überhaupt?«, fragte Zamorra, dem der Anruf immer unerklärlicher wurde.
»Mathilde Dupont«, entgegnete die Angesprochene spitz, als sei damit alles geklärt. Doch das war ein Trugschluss.
»Und?«, wagte Zamorra zu fragen, als die triumphale Pause nicht enden wollte. »Was soll mir das sagen?«
Er hörte, wie am anderen Ende der Leitung hörbar Luft eingesogen wurde, als sei schon die Frage ein Sakrileg. Dann folgte ein gepresstes: »Parapsychologisches Institut der Sorbonne.«
Endlich fiel der Groschen. Zamorra konnte sich tatsächlich an Mathilde Dupont erinnern. Er war ihr erst einmal begegnet, und es war ein äußerst unerfreuliches Zusammentreffen gewesen. Der Parapsychologe hatte sich weitgehend aus dem akademischen Betrieb zurückgezogen, doch wenn es seine Zeit zuließ, veröffentlichte er gelegentlich Artikel in Fachzeitschriften oder hielt Gastvorträge. Zum Beispiel an der Sorbonne, wo vor über 45 Jahren seine einst vielversprechende wissenschaftliche Karriere begonnen hatte - bevor sein Leben eine gänzlich unerwartete Wendung genommen und er sich dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis verschworen hatte.
Vor ein paar Monaten hatte er bei einem seiner seltenen Gastspiele an seiner alten Alma Mater eine unerquickliche Begegnung mit der neuen Institutssekretärin gehabt, die das Aufeinandertreffen mit so mancher Höllenkreatur geradezu angenehm erscheinen ließ. Denn die energische Dame hatte offenbar den Eindruck, dass sie und nur sie allein der Pfeiler war, ohne den der gesamte akademische Betrieb in sich zusammenbrechen würde.
»Offenbar hält es der feine Herr Professor für unter seiner Würde, sich an das Fußvolk in den Schreibstuben zu erinnern«, giftete Madame Dupont weiter. »Bis er uns mal wieder braucht. So wie jetzt.«
»Moment«, hakte Zamorra nach. »Ich brauche Sie?«
»So ist es!«
Da war es wieder, dieses unangenehme Triumphieren in der Stimme, das ihn langsam, aber sicher zur Weißglut trieb. Sorbonne in der nächsten Zeit meiden. Mindestens bis zur Pensionierung von Madame Dupont , notierte er in seinem geistigen Notizbuch.
»Und das tue ich genau warum?«
»Weil ich eine E-Mail bekommen habe, auf die Sie vermutlich schon dringend warten. Aber wie ich bereits sagte, ich bin nicht…«
»… die Sekretärin des feinen Herrn Professor, ich weiß«, sagte Zamorra, der nicht wusste, ob er lachen oder vor Wut aus der Haut fahren sollte. Eine E-Mail? Es war unfassbar, welche
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