0957 - Das Aibon-Gezücht
Faszination nicht entkommen.«
»Was redest du da, Snake?«
»Die Wahrheit. Nicht mehr und nicht weniger. Ich kenne die Menschen. Sie sind neugierig. Sie lassen sich immer wieder von dem Ungewöhnlichen faszinieren, und da bist du auch keine Ausnahme, Sheila.«
»Was ist denn so ungewöhnlich, Snake? Ich möchte es wirklich wissen. Ich bin neugierig. Das Ungewöhnliche interessiert mich. Bitte, wo kann ich es finden?«
»Bei den Schlangen.«
»Die du beherrschst.«
»Ich weiß nicht, ob ich sie beherrsche. Aber sie faszinieren mich, und sie waren schon sehr früh da. Sie sind Geschichte, es wird immer wieder über sie geschrieben. Es gab die alten Kulte, die irgendwann in Vergessenheit geraten sind.«
»Die Ophiten!«
»Sicher, Sheila.«
»Und was bedeutet es, eine Ophitin zu sein?«
»Viel, sehr viel. Man muß ihnen gehorchen, denn man muß zugleich an sie glauben. Daß sie es gewesen sind, die vieles in die Welt gebracht haben. Manche sahen es als Böse an, andere wiederum liebten die Ophiten, weil sie so außergewöhnlich waren und sich immer wieder in den Lauf einmischten. Es ist leider sehr lange her, aber es wurde nichts vergessen. Die Ophiten kehren zurück, und die Schlangen werden wieder ihre Opfer bekommen. Wie damals, vor weit mehr als tausend Jahren, als es sie noch offiziell gab, bis die Christen diese Gruppe zerstört hatten.«
»Darf ich fragen, wer du bist? Ein Mensch oder eine Schlange?«
Snake lächelte. »Wie hättest du es denn gern, Sheila?«
»Ich weiß es nicht. Ich fühle mich auch nicht mehr fasziniert. Ich weiß nicht, was du in meinem Haus mit mir angestellt hast. Sicher ist, daß mir so etwas nicht mehr passieren wird.«
»Glaubst du das?«
»Ja, das glaube ich. Wir werden nicht zu deinen Dienern werden und auch nicht den gewaltigen Schlangengötzen anbeten, dem die Opfer gebracht wurden. Katzen, Hunde - ich bin gespannt, wann es Menschen werden. Dem müssen wir einen Riegel vorschieben, deshalb sind wir gekommen. Es gibt schon genügend obskure Gruppen, die auf Endzeitstimmmung machen. Da brauchen wir dich nicht dazu.«
Snake hatte zugehört, beide Conollys angeschaut und sie angelächelt.
Plötzlich sagte sie: »Das hat sich alles angehört, als hättet ihr ein Todesurteil über mich gesprochen.«
»Wenn du es meinst.« Snake lachte. »Mal eine andere Frage. Was soll ich eurer Meinung nach tun?«
»Die Wahrheit sagen«, flüsterte Sheila.
»Und wie sähe die aus?«
»Keiner von uns weiß, ob du ein Mensch oder ein Monster bist. Du nennst dich Snake, Schlange. Du bist aber keine Schlange, auch wenn du mit diesen Tieren spielst. Nur kann ich dich komischerweise nicht als einen Menschen akzeptieren. Wer bist du tatsächlich?«
»Ich bin Snake!«
»Das sagt mir nichts.«
»Ich liebe die Schlangen, ich beherrsche sie. Ich möchte, daß sie wieder ihre alte Kraft erlangen, wie es vor Hunderten von Jahren gewesen ist. Ich bin die Führerin der Schlangen. Ich werde sie sammeln, und ich werde auch die Menschen um mich herum sammeln, damit sie und die Schlangen eine Symbiose eingehen. Halb Mensch, halb Schlange, das ist doch, wonach man Streben soll.«
Die Conollys hatten sich durch die Worte nicht beeindrucken lassen.
»Wo kommst du tatsächlich her?« fragte Bill.
»Nicht von dieser Welt. Ich sehe aus wie ihr, aber ich bin nicht wie ihr.«
Sie stand auf. Das Kleid bauschte sich im Bogen zusammen. Der weite Ausschnitt, die nackte Haut, die Haare, die wie gedrehte Würmer wirkten, das alles erinnerte mehr an eine künstliche und irgendwie gestylte Person, aber nicht an einen normal gewachsenen Menschen.
Sie sah unecht aus, und Bill wollte das überprüfen.
»Bleib du zurück«, flüsterte er Sheila zu, während er selbst auf die Person zuging »Was hast du vor, Bill?«
»Nichts weiter.«
Bill hatte gelogen. Er wußte schon, was er wollte. Er mußte jetzt alles auf eine Karte setzen, und Snake schien nichts dagegen zu haben, denn sie wartete auf ihn.
Der kalte Wind fuhr in Bills Gesicht. Er drang durch das halb zerstörte Dach ebenso wie durch die Lücken in den Wänden. Er störte den Reporter nicht, der so dicht vor der Frau stehenblieb, daß er sie berühren konnte, wenn er nur den Arm ausstreckte.
Beide schauten sich an. Er sah ihren eisigen Blick. Für einen Moment hielt er ihm stand, dann senkte er den Blick, und er schaute an der Frau entlang nach unten, wo sich der Stoff bauschte wie bei einem Ballkleid.
»Du bist ein Mensch?« fragte Bill noch einmal
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