0959 - Asmodis’ Hölle
denen die Straßenlampen trübe Lichtinseln bildeten. Nur wenig in diesem verlassenen Randbezirk deutete noch darauf hin, dass hier im jüdischen Viertel einst die Stadtgeschichte Venedigs mitbestimmt worden war.
Der Vampir, jetzt unumschränkter Herrscher der venezianischen Blutsaugersippen, liebte es, hier zu jagen. Und zwar alleine. Ortensi war vom Reiz des Heruntergekommenen regelrecht fasziniert, auch bei Menschen. So bevorzugte er Blutkelche , wie er seine Opfer zu nennen pflegte, die eher auf der Schattenseite des Lebens standen.
Eine junge Frau, die im normalen Zustand sicher eine wirkliche Schönheit war, kam um die Ecke und schwankte allein durch die nur spärlich ausgeleuchtete Calle , wie die Venezianer die engeren Gässchen nannten. Sie hielt sich immer wieder an der Hauswand fest, um nicht hinzufallen.
Ein leises Fauchen löste sich aus dem Maul des Vampirs. Er zog seine Lippen zurück. Für einen winzigen Moment reflektierten die mächtigen Bluthauer einen Lichtstrahl, aber das sah die Frau dort unten nicht. Hätte sie in diesem Moment nach oben geschaut, hätte sie noch mehr gesehen. Ein fast schneeweißes, asketisch geschnittenes Gesicht mit rötlichen Augen, in denen sich Gier und Grausamkeit zu einem stechenden, durchdringenden Blick vermischten.
Ortensi sprang mit ausgebreiteten Armen. Einen Meter hinter der Frau kam er auf den Boden, federte in den Knien ab und stand dann, etwa zwei Meter groß, als dunkles Verhängnis hinter dem Blutkelch . Erneut entließ er ein kurzes, scharfes Fauchen in die Nacht. Er wollte, dass sich seine Opfer umdrehten, schrien, wimmerten und sich vor Angst in die Hose machten, wenn sie ihn sahen. Das erregte ihn zusätzlich und ließ aus einer gewöhnlichen Blutmahlzeit ein wahres Festmahl werden.
Die Frau, die sich gerade wieder an einer Hausmauer abstützte, schien ihn nicht gehört zu haben. So trat er hinter sie und riss sie an den Schultern herum.
Augen voller Hohn funkelten ihn an. »Hallo, Ulisse«, sagte eine angenehme Frauenstimme. Dann schoss ihre Faust vor, so schnell, dass er nicht mehr reagieren konnte. Sie traf ihn krachend am Kinn.
Ortensi schrie auf und taumelte nach hinten weg. Er hatte das Gefühl, ein Zentaur habe ihn getreten. Schon setzte die Furie nach. Er fing sich drei, vier Fußtritte gegen die Brust und knallte rücklings auf den Boden. Der Vampir brüllte vor Wut. Als er seine Magie einsetzen wollte, senkte sich eine Art schwarzer Schleier über ihn und saugte die magischen Kräfte, die er freisetzte, einfach auf.
Angstvoll starrte er die Frau an, die sich über ihn beugte.
»Wer… wer bist du? Und was willst du von mir?«
Ein leises Kichern erreichte sein Ohr. »Oh, ich bin Eugenia. Und unsere Begegnung ist keineswegs zufällig. Ich will mich nämlich mit dir unterhalten, Vampir. Entschuldige, dass ich dich gleich bei unserem ersten Treffen ein wenig grob und von oben herab behandle, aber ich will einfach ausschließen, dass du mich eventuell nicht für voll nimmst. Du weißt ja nun, was dann passiert. Glaub mir, ich habe die Macht dazu.«
»Gut. Ich habe verstanden. Aber nimm bitte diesen dreimal engelsgesegneten Schleier wieder von mir.«
Der Schleier verschwand tatsächlich. Ortensi richtete sich auf. Eugenia ließ ihn gewähren.
»Wie wäre es, wenn wir uns in einer angenehmeren Umgebung unterhalten würden?«, schlug Eugenia spöttisch vor. »Ich kenne da einen uralten, lange verlassenen Palazzo am Fondamenta cannareggio . Ist gar nicht weit von hier. Außer Ratten und Ungeziefer stört uns da keiner. Mehr Komfort kann ich dir aber leider nicht bieten, denn es wäre nicht gut, wenn mich gewisse… nun, Leute mit dir zusammen sehen würden.«
Kurze Zeit später standen sie in dem zugigen Palast, in dem der Schimmel an den Wänden nistete und der Wind durch Löcher in den Mauern pfiff.
»Du bist eine Dämonin, Eugenia«, stellte Ortensi fest. Seine Augen glühten nun in fast dunklem Rot.
»Und du bist ein absoluter Schnellmerker, Vampir«, gab Eugenia zurück.
»Weißt du etwas vom Untergang der Schwefelklüfte? Warst du vielleicht gar in der Hölle, als die Katastrophe passiert ist?«
Eugenia schaute düster. »Kein Schwarzblütiger, der zum Zeitpunkt des Untergangs in den Schwefelklüften geweilt hat, konnte entkommen. Sie sind alle tot. Ich lebe schon lange hier auf der Erde.«
»Und was willst du nun?«
»Ich bin gekommen, um dir ein Geschäft anzubieten. Ein Geschäft, das euer Überleben garantiert. Denn
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