0959 - Asmodis’ Hölle
war ich der mächtigste Dämon in der Region, der unumschränkte Herrscher Venedigs. Dogen und Bischöfe waren nur mehr Marionetten an den Fäden meiner Finger…«
»Willst du jetzt endlich zur Sache kommen?«
»Ja, ich bin schon dabei. Ein bisschen Geduld musst du schon aufbringen, Fürst. Also, Anfang des sechzehnten Jahrhunderts tauchte plötzlich ein Konkurrent auf, der es auf meine Macht abgesehen hatte, weil er immer noch mehr Reichtümer horten wollte. Er nannte sich Vitale Michiel, trat als Piratenkapitän und Kaperfahrer auf und war auch als der Schwarze Tod bekannt. In seiner Mannschaft war eine wahre Bestie, fast noch schlimmer als er, die allgemein nur die Rote Hexe genannt wurde. Sie war wohl seine Geliebte. Ich ließ mich von der Ratsversammlung der Stadt unter dem Namen Raphainus engagieren und zog als angeblich weißmagischer Zauberer gegen Michiel und seine Hexe zu Felde. Das hatte den Vorteil, dass mir Doge und Bischof noch ein paar starke christliche Kämpfer mit weißmagischen Waffen an die Seite stellten. Mit ihrer Hilfe gelang es mir, Michiel und die Hexe zu besiegen. Töten konnte ich sie allerdings nicht und so war ich gezwungen, sie und ihr Schiff zu verfluchen, damit sie von dieser Daseinsebene verschwinden.«
»Sehr schlau«, murmelte Asmodis. »Wer verflucht ist, hat nur noch sehr begrenzt die Möglichkeit, wieder in diese Existenzebene zu kommen. In welchen Rhythmus hast du ihn gezwungen?«
»Alle tausend Jahre für drei Tage.«
»Hm. Das muss dich sehr viel Kraft gekostet haben, Aravius. Wirklich sehr viel Kraft. Eine außergewöhnliche Leistung für einen höchstens mittelstarken Dämon, wie du einer bist. Das bekommen viele höherrangige Dämonen nicht hin.«
»Man hat eben gewisse Talente, Fürst. Aber genau so war es. Ich war danach schwach. Viele Wochen lang. Das nutzte der Vampir Annibale Tizian, um sich zum Dunklen Herrscher über Venedig aufzuschwingen. Diese Position hat er bis vor Kurzem halten können, weil ich nie mehr wieder in den Vollbesitz meiner Kräfte gelangt bin. Seit Tizian tot ist, bin ich nun wieder der Dunkle Herrscher über diese wunderschöne Stadt. Allerdings…«
»Allerdings?«
»Allerdings ist vor einigen Tagen ganz unverhofft und völlig gegen die Gesetze des Fluchs Michiel mit seinem Geisterschiff STYGIA auf den Meeren vor Venedig aufgetaucht. Ich befürchte, dass er sich nun an mir rächen will. Fliehen kann ich nicht, denn irgendeine rätselhafte Kraft bindet mich an Venedig und sorgt dafür, dass ich die Stadt nicht verlassen kann.«
»Die Fluchkraft.« Asmodis kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Michiel scheint also zu wissen, dass ein Verfluchter den Verhänger des Spruchs durch Spiegelung eines kleinen Teils seiner Kräfte bannen kann. Damit verfügt er über ein immenses Können, das eigentlich nur höhere Dämonen anzuwenden in der Lage sind. Hm, ich frage mich, wer in der Lage ist, diesen Fluch zu verändern und was er damit bezweckt.«
»Diese Frage ist schnell beantwortet, Fürst. Bei den Blutsaugern hat sich schon vor Monaten Ulisse Ortensi gegen Carlo Frati im Kampf um die Nachfolge Tizians durchgesetzt. Ortensi will unbedingt wieder Dunkler Herrscher Venedigs werden, aber er ist zu schwach, um mich zu besiegen. Da hilft ihm auch seine gesamte Vampirbrut nichts, denn ich habe auch noch eine kleine Armee im Hintergrund.« Sabellico kicherte, wurde aber im nächsten Moment schon wieder ernst. »Ortensi ist es. Er muss irgendeinen Weg gefunden haben, das Geisterschiff wieder in diese Existenzebene zu holen, um mir zu schaden.«
»Ich kenne diesen Ortensi nicht. Muss ja dann doch einiges auf dem Kasten haben, das Kerlchen. Wie auch immer. Du bist dir sicher, dass Michiel demnächst mal bei dir vorbeischaut?«
»Ich fürchte. Durch die Schiffe, die er überfällt, kann er so viel menschliche Lebenskraft tanken, dass er irgendwann in der Lage sein wird, mich zu töten.«
»Unser kleines Geschäft, in das du mich zwingen willst, lautet also: Beseitigung des Fluchs gegen das Wissen um den Dunklen Apfel .«
»Wenn wir uns darauf einigen könnten, Fürst…«
»Also gut, abgemacht, Aravius. Lass uns einen Blutpakt schließen. Mal sehen, was ich für dich tun kann.«
***
Der Tag war etwa eine Stunde alt. Ulisse Ortensi kauerte auf dem Dach eines uralten, hohen Hauses im Ghetto im Nordosten Venedigs. Unter ihm bröckelte das Mauerwerk wie auch an den umliegenden Häusern, überall gab es Verfall und Dreck und menschenleere Gassen, in
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