0959 - Asmodis’ Hölle
Marcantonio Sabellico setzt momentan alles auf eine Karte, um die gesamten Blutsaugersippen Venedigs auszurotten.«
»Der Bibliothekar?« Ortensi war ehrlich verblüfft. »Warum sollte der Dunkle Herrscher das tun?«
»Warum? Kannst du dir das nicht denken? Er fürchtet dich, Ortensi. Sabellico hat Angst, dass du so mächtig wie einst Tizian werden könntest und ihm seine führende Stellung wieder weg nimmst.«
»Hm. Und woher weißt du das alles so genau?«
»Drei Mal darfst du raten, Vampir. Ich gehöre zu Sabellicos engsten Vertrauten. Ich war sogar lange Zeit seine Geliebte. Aber er hat mich zugunsten einer anderen verstoßen. Jetzt hasse ich ihn bis aufs Blut und werde mich an ihm rächen.« Eugenias Gesicht verzog sich tatsächlich zu einer Fratze des Hasses.
»Daran tust du gut. Rache ist immer ein tiefes und äußerst befriedigendes Gefühl, wenn man sie erfolgreich zu Ende bringt. Du willst Sabellico also die Blutsuppe verdünnen.«
»Genau das. Du hast sicher bereits von dem Geisterschiff gehört, das seit einigen Tagen die Lagune unsicher macht und Menschenschiffe kapert.«
»Ja. Ich habe es sogar schon mal gesehen. Gestern bin ich direkt drüber geflogen. Sehr gefährlich sah das Ding nicht aus. Was hat es damit auf sich?«
»Lass dich nicht täuschen, Vampir. Sabellico ist in seiner Bibliothek auf diesen uralten Fluch gestoßen. Ich musste in seinem Auftrag zusammen mit zwei deutschen Studenten ein Stück Planke des versunkenen Schiffes bergen, das einst dem Piraten Vitale Michiel gehört hat. Damit konnte Sabellico den Fluch ändern und das Geisterschiff auf die Lagune holen, obwohl bis dahin noch viele Hundert Jahre vergehen müssten. Und nun holen sich Michiel und seine Geisterpiraten menschliche Lebenskraft, um sich zu stärken. Und wenn sie stark genug sind, kommen sie an Land und töten euch Vampire.«
»Verzeih mir, wenn ich dich gerade nicht verstehe. Wie soll das funktionieren?«
»Ganz einfach: Raphainus, der den Schwarzen Tod seinerzeit gebannt hat, war ein mächtiger Vampir, der sich vorübergehend in die Dienste der venezianischen Herrscher gestellt hat. Ich weiß nur so viel, dass Raphainus irgendwo aus der Ukraine gekommen ist und mit Michiel noch eine Rechnung offen hatte. Deswegen hasst der untote Michiel nun jeden Vampir und verfolgt ihn, wenn er kann, mit unbändigem Hass, so lange, bis er ihn erledigt hat.«
»Und was können wir dagegen tun?«
»Es gibt nur eine Möglichkeit. Du musst mit deinen Vampiren das Geisterschiff überfallen, so lange Michiel noch nicht stark genug ist. Ist er es, habt ihr keine Chance mehr. Es muss euch gelingen, dem Piratenkapitän mit seinem eigenen Schwert den Kopf abzuschlagen und ihn umgehend ins Wasser zu werfen, bevor er sich wieder mit dem Körper verbinden kann. Schafft ihr das, erlischt nicht nur der Fluch, dann geht auch Sabellico in den ORONTHOS(Hölle der Dämonen). Am besten, ihr tut es noch heute Nacht. Denn die Gefahr wird stündlich größer. Und ich möchte nicht, dass Sabellico triumphiert.«
Eugenia lächelte lauernd. »Tritt dieser Fall doch ein, werde ich aber garantiert nicht an meinem Hass ersticken. Stattdessen werde ich die von euch jagen, die übrig geblieben sind. Ohne Gnade. Bist du aber erfolgreich, liefere ich dir zusätzlich noch die gesamte Sabellico-Sippe ans Messer. Und ich werde deine Geliebte.«
»Ich bin schon unterwegs«, erwiderte Ulisse Ortensi und ließ sich aus dem offenen Fenster fallen. Ein riesiger schwarzer Schatten stieg zwischen den Häusern des Ghettos empor und verschwand im Nachthimmel.
***
Ermanno di Conti saß beim Pranzo , dem Mittagessen, im Rosa Salva am Ponte Ferai, dem Lieblingstreff der Venezianer. Dort gab es nur ein Gesprächsthema: die grausame Bluttat auf einer Jacht zwischen den Inseln Murano und Burano, bei der ein junger Mann geköpft und ein anderer aufgeschlitzt worden war sowie das Verschwinden zweier Mädchen, die ebenfalls auf der Jacht gewesen sein sollten.
Ermanno, ein großer schlanker Sizilianer und Vizeweltmeister im Kung-Fu, wie er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit betonte, war mit seinen kurzen blonden Haaren, den sanften grauen Augen und der kühn geschwungenen Nase ein absoluter Frauenschwarm. Und einer, der sich auch über seine Kung-Fu-Geschichten hinaus gerne reden hörte. Und so redete er nicht nur kräftig mit, er führte meistens das große Wort. Alle möglichen Theorien wurden gewälzt. Die meisten der Anwesenden waren sich jedoch im
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