0959 - Asmodis’ Hölle
mit ihm. Und machten Ernst, als die Küste Buranos bereits so nahe war, dass er schon an Rettung zu glauben begann.
Erneut rollte Kanonendonner über die nächtliche Lagune. Nur ein einziger Achtzehnpfünder spuckte Feuer. Doch die Kugel saß präzise. Sie verarbeitete den Bug des Boots zu Kleinholz.
Das Gefährt bäumte sich auf wie unter dem Schlag eines Giganten. Ermanno di Conti knallte gegen die Reling und ging über Bord. Das kalte Lagunenwasser schlug über ihm zusammen, er wusste plötzlich nicht mehr, wo oben und unten war. Verzweifelt strampelte er. Nur mit eiserner Mühe konnte er den Atemreflex unterdrücken. Er blieb aber bei Bewusstsein und musste mit ansehen, wie das Boot rasend schnell sank.
Als die Wellen das Deck überspülten, ging ein riesiger Schatten längsseits. Gleich darauf überflutete rötliches Licht das sinkende Boot.
»Nein«, flüsterte di Conti entsetzt, als die ersten Piraten johlend aufs Deck sprangen und irgendwelche Hieb- und Stichwaffen schwangen.
Ein Furcht erregend aussehender Kerl mit struppigem Vollbart, fehlender Nasenspitze und entstellten Blumenkohlohren packte den Venezianer und riss ihn unsanft aus dem Wasser. Kurz darauf lag er triefend an Deck des Geisterseglers und starrte mit weit aufgerissenen Augen in fahle, höhnische Gesichter, die einen weiten Kreis über ihm bildeten.
An einer Stelle teilte sich der Kreis. Ein riesenhafter Mann mit schwarzem, bis auf die Brust hinunterhängenden Vollbart, schulterlangen schwarzen Haaren, rotem Rock und gelber Schärpe sah auf sie herab. In einem grünen Tuch, das als Gürtel diente, steckten mehrere Messer und ein Beil. Der Mann musterte das neuerliche Opfer, das auf dem Rücken zurückzurutschen versuchte, aus überaus tückischen Augen; di Conti las nichts Gutes für sich darin. Der Mann vor ihm begann laut zu lachen und fletschte dabei die lückenhaften Zähne.
»Hängt den Kerl in die Rahen, damit wir uns das Leben, das aus ihm strömt, einverleiben können.«
Mit lautem Gejohle fielen die Albtraumgestalten über Ermanno di Conti her.
***
Das tiefblaue Totenboot tuckerte über den Rio di Palazzo . Am Steuer stand Napoléon Malamocco, der Leichenfahrer. Seit zwei Jahren setzte er nun Leichen nach San Michele über und dankte Gott noch heute dafür, dass ausgerechnet er diesen Job bekommen hatte; auch wenn sein Vorgänger Maurizio Piasenti, der das über dreißig Jahre lang gemacht hatte, in Ausübung seiner Pflicht direkt auf dem Boot unter geheimnisvollen Umständen ums Leben gekommen war. [2]
Malamocco, dessen Führerstand sich direkt am Bug befand, schaute kurz zurück ins Boot, in dem sich Blumenarrangements, Gestecke und Corone , Kronen, stapelten. Dabei handelte es sich um riesige flache Räder mit breiten grünen Schärpen, in denen kunstvoll Hunderte von Blüten angebracht waren. Gehalten wurden sie von Dreien seiner Mitarbeiter. Im hinteren Teil des Bootes saßen zehn dunkelgekleidete Personen in einer Glaskabine, die sie vor dem kalten Morgenwind schützte.
Eine auch in ihren Trauerkleidern wunderschön aussehende junge Frau verließ soeben diese Kabine und trat zu Napoléon Malamocco. Ihr Gesicht war nicht so verweint wie das der anderen Trauergäste, lediglich die Züge schienen in Stein gemeißelt zu sein.
Malamocco schluckte. Frauen wie diese waren für die Reichen und Mächtigen dieser Welt gedacht. Francesco Scarpagnio, der kalt und bleich im blumenübersäten Sarg lag, der seinerseits auf einem Eisengestell genau in der Mitte des Bootes unter freiem Himmel über dem Dieselmotor stand, war reich und mächtig gewesen. Ein venezianischer Wirtschaftsmagnat, der seinen Reichtum offiziell mit Stahl, inoffiziell eher mit Waffenhandel gemacht hatte. War die Frau Scarpagnios Geliebte gewesen? Dem Totenbootfahrer war schon beim Einsteigen der Trauergäste aufgefallen, wie hasserfüllt die Frau von einigen anderen gemustert und von allen anderen aus den leisen Gesprächen ausgegrenzt wurde. Es schien sie nicht zu kümmern.
Nach all diesen Dingen fragte niemand, wenn eine Leiche mit dem Totenboot nach San Michele transportiert wurde. Dann zählte nur eines: Der oder die Tote musste Venezianer gewesen sein, denn nur solche konnten auf San Michele ihre letzte Ruhe finden.
Die Frau befand sich offenbar in redseliger Stimmung. »Sicher ein schwieriger Job, den Sie da haben.«
Der Leichenfahrer verzog keine Miene. »Ach wissen Sie, ich mache das noch nicht so lange, jeden Werktag ein paar Mal, da ist man noch
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