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0959 - Asmodis’ Hölle

0959 - Asmodis’ Hölle

Titel: 0959 - Asmodis’ Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Schwarz
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nicht so abgestumpft. Ich muss immer aufpassen hier draußen auf der Lagune, auf die anderen Boote, den Nebel, die Strömungen, obwohl ich die Strecke in der Zwischenzeit wie meine Westentasche kenne, verstehen Sie. Auch den Kompass brauche ich manchmal, wenn die Sicht gar zu schlecht ist. Hier läuft es nicht so wie auf dem Festland, irgendwie ist es aufregender, jeder Tag hält ein Abenteuer bereit. Auf dem Land ist diese Arbeit viel monotoner. Ich bin lieber hier in der Lagune, auf dem Wasser, das mal steigt, mal fällt. Es gibt Hochwasser, Niedrigwasser, die Brücken, langweilig ist mir nie, Signorina!«
    »Govi. Ich heiße Eugenia Govi.«
    »Oh, angenehm. Wissen Sie, normalerweise sagen mir die Trauergäste ihre Namen nicht. Ich bin Napoléon Malamocco. Nun ja«, fuhr er ein wenig selbstverliebt fort, »und im Herbst, wenn Nebel aufkommt, darf man sich trotzdem nicht mit allzu viel Wein aufwärmen, sonst landet man in den Untiefen der Lagune. Wenn man dort erst mal feststeckt, bleibt einem nichts anderes übrig als zu warten, bis das Wasser steigt und man wieder freikommt. Und man muss hoffen, dass das Boot nicht beschädigt ist und vielleicht sogar sinkt.«
    Das Totenboot verließ den Kanal und fuhr in die Lagune ein. Malamocco lenkte es nach Steuerbord. Um nach San Michele zu gelangen, musste er Venedig zuerst entlang der Ostseite umrunden. Er drückte auf den Hebel und beschleunigte. Die 130 PS im Dieselmotor fielen in einen lärmenden Galopp.
    Eugenia Govi lächelte. »Ich kann mich noch ganz gut an frühere Zeiten erinnern, da haben noch die Gondeln Trauer getragen, als sie die Toten nach San Michele gebracht haben und das war auch gut so. Würdig.«
    »Signorina?«, entfuhr es dem Leichenfahrer, der ihre Worte für einen Scherz hielt. Die Frau war kaum älter als fünfundzwanzig, schätzte er, wie konnte sie sich da an Zeiten erinnern, die über dreißig Jahre zurücklagen?
    »Heutzutage tragen die Gondeln nur noch in Ausnahmefällen Trauer«, fuhr Eugenia Govi fort, »etwa, wenn ein Gondoliere stirbt oder eine Contessa, die sich ein Begräbnis im alten Stil wünscht.«
    »Ja, das stimmt in der Tat.«
    »Wie rasend schnell sich doch die Zeiten ändern, finden Sie nicht auch, Signore Malamocco? Heute hält der Fährmann über den venezianischen Styx auf der Fahrt vom Reich der Lebenden in die Welt der Toten die Hände nicht mehr am Ruder, sondern am Gashebel eines Außenbordmotors.«
    Malamocco schaute sie verwirrt an. Er gehörte zu den eher einfach Strukturierten und interessierte sich kaum über das hinaus, was er in der La gazzetta dello sport las. Dementsprechend hatte er keinen blassen Schimmer, was sie meinte.
    »Napoléon. Einen interessanten Vornamen haben Sie da.« Eugenia Govi lächelte. »Viele verehren den Korsen noch heute als großen Menschen. Völlig zu Recht, das dürfen Sie mir glauben. Er hat Millionen von Menschen auf dem Gewissen, ist das nicht schön? Ich bin dem Kerl drei Mal begegnet und war jedes Mal begeistert und beeindruckt von ihm. Er war übrigens auch ein ganz passabler Liebhaber.«
    Dem Leichenfahrer lief es plötzlich eiskalt über den Rücken, er spürte, wie seine Nackenhärchen sich aufrichteten. War die Signorina etwa irre?
    Von der Kaimauer her blitzte es plötzlich. Touristen, von denen einige schon um diese Zeit unterwegs waren, schossen Bilder ins Zwielicht. Malamocco hatte das schon oft gesehen. Sein blaues Boot mit den vielen Blumen war für sie ein auffälliger Farbtupfer in der monotonen Lagune, immer etwas Besonderes. Manchmal stellten sie sich sogar vor das Boot und ließen sich fotografieren - vor allem Japaner, aber auch Besucher aus anderen Ländern. Die wussten oft nicht, dass sie sich mit einem Leichentransport ablichteten, sahen nur die prächtigen Blumen, die Gestecke und Girlanden. Malamocco hoffte, dass die Frau, in deren Gegenwart er sich nicht nur immer unwohler, sondern auch seltsam klein und minderwertig fühlte, zu den anderen in die Glaskabine zurückging. Sie tat ihm den Gefallen nicht. Er wollte sie darum bitten, brachte aber kein Wort über die Lippen, als er zum Sprechen ansetzte.
    Der Weg über die Lagune zog sich heute länger als sonst, obwohl Malamocco die gleiche Geschwindigkeit wie sonst auch fuhr. Er verstand das gar nicht. Es war ihm, als pflüge sich das blaue Boot durch zähen Sirup. Völlig verrückt. Die Toteninsel wollte einfach nicht größer und deutlicher werden.
    Napoléon Malamocco wurde langsam wirklich nervös. Die

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