0959 - Asmodis’ Hölle
Enterbeil dank einer gedankenschnellen Drehung seines Oberkörpers auswich. Mit einem hässlichen Knirschen hackte es neben ihm in die Planken.
Wieselflink kletterte Ermanno di Conti in die Takelage des Besanmastes und trat die Hände weg, die nach ihm griffen. Einen kleinen, vernarbten Kerl, der ihm mit zirkusreifen Bewegungen folgte, holte er mit einem gezielten Tritt an den Hals aus den Wanten. Grunzend knallte der Pirat in einen Pulk seiner Kameraden und richtete kurzzeitig Verwirrung an.
Di Conti kletterte weiter in die Wanten. Dorthin, wo die Erhängten baumelten. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass es sich bei allen Toten um Vampire handelte! Die mächtigen Bluthauer neben ihren heraushängenden Zungen bewiesen es deutlich.
Ein Musketenschuss donnerte über das Deck. Die Kugel pfiff gefährlich nahe an di Conti vorbei, schlug in einen der toten Vampire und brachte die Leiche zum Schwingen.
»Die alte Pendeluhr von Rocky Docky«, murmelte er und schwang sich flink wie ein Affe weiter durch die Wanten. Immer wieder schaute er zu der mächtigen, schwarzbärtigen Gestalt im roten Rock hinüber, die reglos wie eine Salzsäule auf dem Achterkastell stand und das Geschehen mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete. Überlegen. Spöttisch?
Blitzschnell wurde es Tag. Asmodis, denn um niemand anderen handelte es sich bei Ermanno di Conti, wusste längst, dass es innerhalb der Geisterschiffsphäre einen anderen Zeitablauf gab, einen wesentlich schnelleren. Er wusste nun auch, wie die Strukturen des Fluchs aufgebaut waren, da er sich während der kleinen Spielereien mit den Piraten gleichzeitig geistig betätigt hatte. Die Fluchstrukturen waren tatsächlich nicht besonders kompliziert, es steckte nur sehr viel magische Kraft darin. Dieser Sabellico schien viel stärker zu sein, als er angenommen hatte. Um ihn würde er sich noch kümmern müssen.
Doch zunächst ging es darum, den Fluch zu löschen. Auch das wäre kein Problem für den Dämon gewesen, der im Gegensatz zu Sabellico damals genau wusste, wie man Vitale Michiel dort unten auf dem Achterkastell töten konnte. Man musste ihm nur mit seinem eigenen Schwert den Kopf abschlagen und ins Meer werfen, mehr nicht. Dann löste sich der gesamte Fluch schlagartig auf.
Doch damit wollte Asmodis noch warten. Er hatte die menschliche Tarnexistenz in erster Linie gewählt, um dem Unbekannten, der die Fluchstrukturen geändert hatte, auf die Spur zu kommen. Wenn er an Bord war, wäre er beim Eintreffen eines derart mächtigen Dämons vielleicht umgehend geflohen, hielt er sich außerhalb der Fluchsphäre auf, wäre er nach Asmodis' Auftauchen vielleicht gar nicht zurückgekommen.
Was Asmodis momentan definitiv sagen konnte, war, dass sich der Unbekannte nicht an Bord aufhielt. Und dass er ihm allein durch das Abtasten der magischen Fluchstrukturen nicht auf die Schliche kommen konnte. Er würde seine Rolle als menschliches Opfer hier an Bord also noch ein wenig weiter spielen müssen, um unauffällig weitere magische Untersuchungen, die etwas Zeit benötigten, vornehmen zu können. Das war nicht besonders schwierig. Denn Michiels magische Kräfte waren definitiv zu schwach, um die Anwesenheit von Asmodis' Geist zu bemerken.
Vor allem interessierten den Erzdämon die toten Vampire. Über ihre Rolle war er sich nicht so ganz im Klaren. Wenn tatsächlich der neue venezianische Vampirfürst Ortensi dahinter steckte, hatte er dann ein paar aus seiner Gefolgschaft geopfert, um das Geisterschiff und seine Besatzung schneller zu stärken, als er dies mit menschlicher Kraft tun konnte? Zumindest einer der Vampire an Bord schien noch nicht tot zu sein. Er musste sich irgendwo im Schiffsbauch aufhalten, war in irgendeiner Form Teil des Fluches und litt Höllenqualen. Diesen Blutsauger wollte er suchen und befragen.
Blitzschnell sprang Asmodis alias Ermanno di Conti auf Deck zurück und verschwand in einer offen stehenden Luke mittschiffs, die direkt in den modrig riechenden Schiffsbauch führte. Er ließ die Luke über sich zufallen und versiegelte sie mit einem kleinen Fingerzauber, der so schwach war, dass ihn Vitale Michiel nicht erspüren konnte.
Zufrieden kichernd rieb sich Asmodis die Hände. »So weit so gut«, murmelte er.
Der Erzdämon hastete über die verschiedenen Decks, vorbei an Kanonen und Besatzungskojen. Als er auf zwei Piraten traf, beschleunigte er derart stark, dass sie den vorbeihuschenden Schatten nicht mehr bemerken konnten. Er war
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