0959 - Der Fallbeil-Mann
Augen waren leer. Die Blicke nach innen gerichtet, aber der Henker genoß seinen Auftritt und seine Macht. Vor ihm hielten sich die Nonnen auf wie eine lebendige Mauer, die sich im Augenblick nicht zu rühren wagte. Das rötliche Licht aus der Unterwelt hatte sich noch weiter ausgebreitet, so daß nur die wenigsten Stellen auf dem Hof des Klosters noch im Schatten der Nacht lagen.
Der Henker setzte sich in Bewegung. Es geschah sehr plötzlich, ruckartig und er ging dorthin, wo Carlos stand.
Vor ihm blieb er stehen. Er hob seinen rechten Arm an und preßte ihm die Hand auf die Schulter, wobei sich die Finger krümmten und tief in das Fleisch gruben.
Dann zerrte er ihn herum. Er trat ihm das Knie in den Rücken. Carlos stolperte weiter, als wäre in ihm eine Maschine in Gang gesetzt worden.
Das Ziel war die Guillotine.
Der Delinquent wehrte sich nicht. Er tat das, was der Henker wollte.
Unter der Kapuze waren Geräusche zu hören, die kaum jemand identifizieren konnte. Es konnte ein Lachen sein, aber auch ein leises Triumphgeheul. Sogar grunzende Laute mischten sich hinein.
Carlos war nicht in der Lage, sich zu wehren. Er wurde an die Guillotine herangeführt, dort herumgedreht, dann packte der Henker zu und griff in die Haare des Delinquenten.
So zerrte er den Kopf herum, damit Carlos die Nonnen und diese ihn anschauen konnte.
Sein Blick war leer. Er spürte nichts. Es gab keine Gefühle, und er sagte keinen Ton, als der Henker ihn mit brutaler Gewalt zuerst in die Knie und dann weiter nach unten zwang, damit er in die richtige Lage geriet. Er mußte den Kopf in die Mulde legen.
Bäuchlings lag er da. Die Arme auf dem Rücken. Die Hände zusammengebunden. Wie schon viele vor ihm.
Der Fallbeil-Mann schaute noch einmal auf die versammelten Nonnen.
Sie hatten sich noch stärker zusammengedrängt. Die Körper berührten sich gegenseitig, als wollten sie sich gegenseitig Schutz geben.
»Tot!« drang es dumpf unter der Kapuze hervor. »Er wird bald tot sein. Ich werde das vollenden, was ich schon vor langer Zeit hatte tun wollen. Ich werde ihn köpfen. Der Teufel hat mich freigegeben, und ich werde ihm die Seelen bringen. Erst seine, dann eure. Ihr werdet noch in dieser Nacht sterben.«
Jede Nonne hörte die Drohung, doch keine unternahm etwas dagegen.
Sie alle blieben auf der Stelle stehen, und sie schauten auch nicht weg.
Es kam ihnen vor, als wäre jemand dabei, die Köpfe in eine bestimmte Richtung zu zwingen.
Der Henker trat so nahe an seine Guillotine heran, bis er den Hebel berühren konnte. Er legte seine Hand darauf und schaute noch einmal zu dem scharf geschliffenen Fallbeil hoch.
Die Klinge leuchtete wie ein kalter Stern, aber auch wie der Tod, der über dem Mann schwebte.
»Jetzt!« sagte der Henker.
Er zerrte an dem Hebel.
Das Fallbeil löste sich.
Wie ein Blitz raste es in die Tiefe.
Jede hörte den dumpfen Laut, als es auftraf und den Kopf mit einem einzigen Hieb vom Rumpf trennte. Der Schädel des Toten rollte noch ein Stück nach vorn und hinterließ eine Blutspur.
Der Henker aber lachte. Er war zufrieden. Bevor er sich um den Geköpften kümmerte, zog er das Fallbeil wieder hoch, bis es die Ausgangsstellungerreicht hatte. Dort hakte es ein.
Sie war wieder bereit, was den Henker irrsinnig freute, denn das Lachen konnte er nicht unterdrücken. Es begleitet ihn auf seinem Weg zu Carlos, der endlich das bekommen hatte, was er verdiente. Auch wenn darüber viele Jahrhunderte ins Land gegangen waren.
Neben dem Torso verharrte er, bückte sich dann und zerrte den kopflosen Körper zur Seite. Die Guillotine war für den nächsten Arbeitsgang bereit.
Achtlos ließ er den Körper liegen. Sein weiterer Weg führte ihn dorthin, wo der Kopf lag. Er war so gefallen, daß ihn die starren Augen anglotzten. Der Fallbeil-Mann bückte sich abermals. Er grünste dabei, ein Laut der Freude.
Einen Moment später hatte er den Kopf angehoben. An den Haaren hielt er ihn gepackt und schaukelte ihn von einer Seite zur anderen. Es machte ihm Spaß, er wollte das Entsetzen unter den Nonnen noch steigern. Eingehüllt in das düstere Licht der Hölle kam er sich wie der große Triumphator vor, und er holte dann aus, um den Kopf des verhaßten Carlos tief in den Garten hineinzuschleudern, wo er gegen die Mauer prallte und dann an einer dunklen Stelle liegenblieb.
Der Fallbeil-Mann hatte es geschafft. Lange genug hatte er auch warten müssen, nun aber spürte er einen Triumph in sich, der beinahe schon an
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