0959 - Der Fallbeil-Mann
Henker. Ist das ein Vorschlag. - Du und ich.«
Er war noch immer unsicher und wich sogar zurück, als ich auf ihn zuging.
Seine Arme bewegten sich etwas hektisch und trotzdem steif. Vor Pause - zurück - Pause - wieder vor.
Wie eine Puppe, eine Marionette, ein künstlicher Mensch. Ich mußte ihn völlig verwirrt haben, so daß er nicht anders konnte, als den Rückweg anzutreten.
Ich blieb ihm auf den Fersen. Irgendwann mußte er einmal stehenbleiben, und wenn es an seiner Guillotine war, die ebenfalls auf magische Weise überlebt hatte, natürlich unter Mitwirkung des Höllenherrschers. Ich wollte ihn provozieren und fragte: »Willst du mich nicht? Ich bin dein nächster Delinquent!« Ich breitete beide Arme aus.
»Los, du hast doch Carlos schon geköpft. Jetzt bin ich an der Reihe. Führe deine Rache endlich durch.«
Er kam mit mir nicht zurecht. Ich ging auch weiter und trieb ihn zurück.
Natürlich hatte ich noch nicht gewonnen, aber seine Unsicherheit gab mir die Sicherheit.
Er blieb stehen.
Auch ich stoppte.
Drei Meter höchstens trennten uns, und der Henker hatte seinen Platz neben der Guillotine eingenommen. Er brauchte nur seinen Arm auszustrecken, um den Hebel zu erreichen, aber noch lag niemand mit seinem Kopf in der Mulde.
Ich deutete darauf. »Ist das mein Platz?«
Der Henker schwieg.
»Willst du mich nicht?« provozierte ich ihn.
Er gab keine Antwort.
Ich lächelte kalt. »Gut, wenn ich nicht sterben soll, dann drehen wir den Spieß um. Es ist an der Zeit, daß du vernichtet wirst. Du hast lange genug dein Unheil getrieben, und ich weiß auch, daß hinter dir der Teufel steht. Ihn fürchte ich nicht. Wir kennen uns. Wir sind Todfeinde, und er hat es trotz aller Anstrengung nicht geschafft, mich zu vernichten. Er schickt jetzt seine Diener vor, stattet sie mit einer großen Macht aus und hofft darauf, daß ich sterbe.« Ich lachte leise. »Den Gefallen habe ich ihm nicht getan, Henker, und ich werde ihm auch in dieser Nacht keine Freude bereiten.«
Der Fallbeil-Mann zitterte. Er griff mich nicht an. Schon längst war ich darauf gefaßt, von ihm gepackt zu werden, aber da war etwas, das ihn zurückhielt.
Vielleicht mein Kreuz.
Noch sah ich es nicht, das allerdings änderte ich schnell, denn bevor ich noch näher auf ihn zuging, rutschte die rechte Hand in die Tasche, wo ich den Talisman verborgen hielt. Ich holte ihn sehr langsam hervor, beinahe schon genüßlich, und dann streifte ich mir eben so langsam die Kette über den Kopf.
Durch sein Gewicht fiel das Kreuz nach unten und blieb vor der Brust hängen.
Der Henker sah es. Er konnte einfach nicht daran vorbeischauen. Und er nahm auch den matten Glanz wahr, den das Kreuz ausstrahlte. Von der rechten Seite her hörte ich schnelle Schritte. Ich warf einen kurzen Blick dorthin und sah die Oberin, wie sie durch den Garten hetzte, um in meine Nähe zu gelangen.
»Bleiben Sie stehen!« rief ich ihr zu.
Sie nickte und gehorchte.
Ich wußte nicht, wie der Kampf ausging, und ich wollte nicht, daß der Henker sich noch eine Geisel schnappte, wenn die Nonne zu nahe an ihn herangekommen war.
Ich aber wollte Bucheron, und ich holte ihn mir.
Er selbst wehrte sich nicht. Er stand da. Er war breit, er war muskulös, sein Oberkörper war in das rötliche Licht getaucht, das ihn wie ein schützender Schein aus der tiefsten Hölle umgab, aber ich besaß das Gegenmittel, und deshalb wurde dieser Schutz zur reinen Farce.
Ich war jetzt so nahe an ihn herangekommen, daß ich durch die Schlitze seine Augen sehen konnte. Sie bewegten sich. Sie zuckten, und ich kannte derartige Blicke von nervösen und ängstlichen Menschen. Der Henker war durch den Anblick des Kreuzes gebannt. Es gehörte zu den Symbolen, gegen die er einen tiefen Haß empfinden mußte. Als ich noch einen Schritt auf ihn zuging, da wehte mir das tiefe Stöhnen entgegen.
Zugleich krümmte er sich, fiel aber nicht zu Boden, sondern blieb in einer Haltung vor mir stehen, als wäre er der Glöckner von Notre Dame. So stark hatte sich sein Körper zusammengezogen.
Der nächste Schritt.
Der Henker heulte auf. Die Nähe des Kreuzes machte ihn fertig. Er schlug einfach um sich, verlor dabei das Gleichgewicht und fiel zu Boden, wo er auf dem Bauch liegenblieb und sein Gesicht mit der Kapuze darüber gegen die kalte Erde preßte.
Besser hätte es für mich nicht laufen können. Ich braucht mich nur zu bücken, ihn zu packen und seinen Hals in das Oval des hochkant stehenden Bretts zu
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