0959 - Der Fallbeil-Mann
schreiende Frauenstimme hörte, die etwas sagte, was ich nicht verstand.
»Bitte, wer sind Sie? Sprechen Sie deutlicher!«
»Schwester Ruth.«
»Gut. Sie rufen aus dem Kloster an.«
»Ja, ja, ich muß die Oberin sprechen.«
»Das können Sie auch mir sagen.«
Die Frau war so von der Rolle oder stand unter einem derartigen Schock, daß sie auf alles einging. »Er ist hier!« schrie sie. »Der Henker ist bei uns im Kloster. Und er will uns köpfen. Alle…«
***
Verdammt noch mal, mit einer derartigen Wendung hatte ich nicht gerechnet. Ich war auch nicht in der Lage, etwas zu sagen und stand da wie angenagelt. Den Hörer hielt sie noch in der Hand. Ich brauchte einfach eine gewisse Zeit, um diese Nachricht zu verdauen. Dann legte ich den Hörer wieder auf die Gabel und drehte mich zu Schwester Anna um.
Die Frau hatte es nicht auf ihrem Stuhl gehalten. Sie war aufgestanden und starrte mich an. In ihren Augen nistete die Furcht, als sie mir zunickte. »Es ist etwas passiert, nicht wahr?«
»Ja.«
»Da hat eine Frau angerufen.«
Ich nickte. »Es war eine Schwester Ruth aus dem Kloster.«
»Und?« Ihre Stimme zitterte. Sie stand da wie von Stromstößen geschüttelt.
»Der Fallbeil-Mann hatte sich etwas anderes ausgedacht«, sagte ich mit leiser Stimme. »Er hat dem Kloster einen Besuch abgestattet. Er will Ihre Schwestern köpfen, alle, und das noch in dieser Nacht.«
Es war eine Nachricht, die kaum jemand verdauen konnte. Da bildete die Oberin keine Ausnahme. Ich sah sie noch blasser werden, und plötzlich schwankte sie wie das berühmte Rohr im Wind. Ich wußte, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sie würde ohnmächtig werden.
Bevor sie zu Boden fallen konnte, war ich bei ihr und fing sie auf.
Ohnmächtig blieb sie in meinen Armen liegen, im Gesicht bleich wie eine frisch gekalkte Wand.
Die Gedanken rasten durch meinen Kopf. Was tun? Sollte ich sie hier im Schloß lassen oder mit ins Kloster nehmen, wohin ich einfach mußte. Es konnte beides verkehrt sein, aber wie dem auch sei, ich würde es durchziehen müssen.
Nein, ich ließ die Oberin nicht hier. Wie eine Tote legte ich sie auf meine Arme und trug sie aus dem Haus in die kühle Nacht hinein, in der sich der Dunst noch gehalten hatte.
Auf den Rücksitz des Rovers bettete ich die Oberin. Wenig später war ich unterwegs. Und die Furcht stieg in mir an…
***
Das rötliche Licht hüllte den Klostergarten ein wie ein blutiger Schatten.
Es gab keine normale Quelle, aus der es geströmt wäre, einzig und allein der Henker strahlte es ab. Es drang aus seinem Körper ins Freie und war wie eine finstere Botschaft, die direkt aus der Hölle gekommen war.
Bis auf eine Nonne hatte der Fallbeil-Mann alles zusammengetrieben.
Die Frauen fürchteten sich. Sie spürten die Aura des Bösen. Sie sahen auf dem Klosterhof das verdammte Fallbeil stehen, dessen Klinge ihnen der Reihe nach die Köpfe abschlagen sollte. Noch war es nicht soweit, und die Frauen drängten sich zusammen wie eine Herde ängstlicher Schafe.
Sie wurden nicht unmittelbar durch Waffen bedroht, aber trotzdem dachte keine von ihnen an Flucht. Sie wußten selbst nicht, woran es lag, wahrscheinlich am Erscheinungsbild des Henkers und natürlich an der höllischen Aura, die ihn umgab, die er abstrahlte, die sich auf dem Klosterhof ausbreitete.
Sie war es, die die Aktivitäten der frommen Frauen lähmte. Sie machte sie starr, sie nagelte sie auf der Stelle fest, und in ihren Köpfen hatte sich ebenfalls etwas verändert. Keine von ihnen konnte noch klar denken. Es war das dumpfe Gefühl, das sich ausbreitete und sich über ihre Gedanken gelegt hatte wie ein dicker Schleier.
Der Henker triumphierte. Er stand neben seiner Guillotine. Wieder wurde sein Gesicht von der Kapuze bedeckt. Nur die beiden Schlitze für die Augen waren frei. Dahinter funkelten die Augen wie Kugeln aus schwarzem Blutstein.
Er war nicht allein gekommen. In seiner unmittelbaren Nähe stand noch eine Gestalt.
Ein nackter Oberkörper, Hände, die auf dem Rücken zusammengebunden waren, ein kantiges Gesicht, schwarze, leicht gelockte Haare, ein Toter, der ebenfalls in den Kreislauf der Hölle hineingeraten war und nicht richtig sterben konnte. Carlos eben!
Damals, als man ihn hatte in den Teich werfen wollen, war es zum Kontakt zwischen ihm und dem Henker gekommen, und dieser Kontakt war durch die Gesetze der Hölle gefestigt worden.
Er tat nichts.
Er stand nur da.
Er starrte die Nonnen an. Seine
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