096 - Die Gräfin von Ascot
John dann durch das ganze Gebäude. Sie war wie ein Kind, das sich über ein neues Spielzeug freut, fühlte sich als Hausherrin und zeigte ihm sogar Küche und Keller, Speisekammer, den elektrischen Kochherd, den neuen Kühlschrank und all die vielen modernen Einrichtungen, die die Hausarbeit erleichtern. Mrs. Carawood hatte kein Geld gespart. Schließlich führte sie ihn auch noch die Treppe hinauf und zeigte ihm ihr wunderbares Schlafzimmer mit angrenzendem Ankleideraum und Bad. Es war traumhaft schön.
»Ach, es ist herrlich!« rief sie. »Ich werde das ganze Jahr hierbleiben. Der Garten wird mit Blumen bepflanzt - es ist wundervoll!«
»Und was machen Sie sonst noch?« fragte John ruhig.
Sie sah ihn plötzlich ernst an, und er machte sich schon Vorwürfe, daß er ihre fröhliche Stimmung gestört hatte.
»Ich weiß es noch nicht - ich habe es mir auch schon überlegt, daß ich etwas tun muß. Heute morgen habe ich mit Nanny darüber gesprochen. Sie will nicht zulassen, daß ich das ganze Jahr hierbleibe, ich soll nur ein paar Monate in Ascot verbringen. Während der anderen Zeit soll ich Reisen ins Ausland machen. Aber ich muß doch etwas arbeiten, John! Ich werde mir eine Schreibmaschine kaufen und stenografieren lernen. Julian hat schon gesagt, daß er mir dann sein Manuskript diktiert. Er zahlt mir ein sehr anständiges Monatsgehalt.«
»Nun, das wird nicht so viel sein. Julian zahlt schlecht«, entgegnete John unfreundlich. »Hat Mrs. Carawood nicht einen anderen Plan?« »Nein, sie mag nichts davon hören, daß ich etwas arbeite. Sie sagt immer, das sei ganz unnötig.«
Große Glastüren führten vom Schlafzimmer auf den Balkon. Die beiden traten hinaus und sahen den kleinen, gepflegten Garten unter sich und durch eine Öffnung zwischen den Bäumen eine weite Fläche fruchtbarer Felder. Dahinter erhob sich eine Kette von Hügeln, und darüber wölbte sich der strahlende Abendhimmel. Es war ruhig, still und friedlich. Der Wind trug einen Duft von Tannen und frischgeschnittenem Gras herüber.
»Sie dürfen sich nicht mit einem ruhigen Leben hier zufriedengeben«, sagte er nach einer langen Pause. »Schön, Sie stehen morgens in dieser schönen Umgebung auf, lesen die Zeitungen, spielen etwas Golf und Tennis, fahren dann zur Stadt, um Einkäufe zu machen, kommen zurück und legen sich schlafen. Wollen Sie sich damit zufriedengeben? Nein, Sie sind zu Besserem als einem so eintönigen Leben bestimmt.« Sie seufzte und nickte dann. »Ich habe mir verschiedenes überlegt -«
»Aber fangen Sie ja nicht an, sich in wohltätigen Vereinen oder dergleichen zu betätigen!«
»Aber was kann ich denn sonst tun?« fragte sie ungeduldig und vorwurfsvoll.
»Sie müssen arbeiten! Sagen Sie doch Mrs. Carawood, daß Sie ihr im Geschäft helfen wollen. Lernen Sie etwas über Kleider!« »Das habe ich ihr ja auch schon gesagt, aber sie war ganz entsetzt, als sie das hörte. Es bleibt mir gar nichts anderes übrig, als zu heiraten.« Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Was sagen Sie dazu?« In diesem Augenblick trat Mrs. Carawood mit Julian auf den Balkon, und dadurch wurde John der Antwort enthoben.
Julian paßte vorzüglich in diese Umgebung. Er war ein angenehmer Gesellschafter, konnte unterhaltend sein, wenn man es von ihm verlangte, aber er konnte auch schweigen, wenn es am Platz war. Er verstand es, Mrs. Carawood viel Angenehmes über den schönen Landsitz zu sagen, und ließ sich durch die Abendlandschaft in eine geradezu lyrische Stimmung bringen.
Früher hatte sich John Morlay niemals viel um Julian gekümmert. Er wußte eigentlich nur, daß sich der junge Mann sehr elegant kleidete und immer tadellos gebundene Krawatten trug. In Julians Gegenwart fühlte sich John immer etwas unbeholfen und schlecht angezogen. Für gewöhnlich lächelte er nur über diese übertriebene Betonung des Äußeren, aber heute fühlte er sich zum erstenmal in den Schatten gestellt. Julian war wirklich ein ausgezeichneter Unterhalter; alles, was er sagte, klang interessant und paßte gut zu den Brillantknöpfen. Er kannte alle möglichen Leute, auch berühmte Schriftsteller und Maler, und wußte höchst intime Skandalgeschichten aus ihrem Privatleben. John schwieg während des größten Teils der Mahlzeit, aber dann kam doch ein Gespräch mit Mrs. Carawood zustande. Sie selbst trug nicht viel zu der Unterhaltung bei; in dieser Umgebung schien sie mehr denn je durch ihren Mangel an Bildung und Umgangsformen bedrückt zu sein. John
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