096 - Die Gräfin von Ascot
zusammen kaum fünfzehn Pfund wert - solchen Eindruck machen könnten.«
»Erlauben Sie mal, der Ring hat fünfundzwanzig Pfund gekostet«, sagte Julian stolz. »Es ist außerdem absolut nicht fein, über einen anderen Menschen zu lachen, weil er nicht Geld genug hat, um kostbare Geschenke zu machen. Es ist nicht die Gabe an sich -«
»Es ist der Geist, in dem sie geschenkt wird«, unterbrach ihn John. »Aber warum machen Sie denn jetzt in Geistreicheleien?«
Mr. Julian Lester ließ sich nicht anmerken, daß ihn die Reden Johns irgendwie ärgerten. Über dergleichen war er erhaben. Er fühlte sich John und der anderen Welt überlegen, und heute hatte er besonderen Erfolg gehabt. Es war ein guter Tag für ihn gewesen. Er hatte eine große Anzahl von Aktien in einem Augenblick kaufen können, in dem sie den niedrigsten Stand erreicht hatten, und in weniger als einer Woche würde ihm diese Kapitalanlage mindestens fünfzig Prozent Gewinn einbringen. Er trug am Ende einer Goldkette ständig ein kleines Buch bei sich, in das er Tag für Tag die wachsende Summe seines Vermögens einschrieb. Auf dem Deckel war die Zahl 500 000 eingraviert. Das war seine Devise, sein Motto, das Wappenzeichen, das Ziel, auf das er lossteuerte. Der Gedanke an diese fünfhunderttausend Pfund beherrschte ihn vollkommen; danach richtete er alle seine Handlungen, ja sein ganzes Leben ein. Als er diese hohe Zahl eingravieren ließ, hatte er nicht einmal hundert Pfund auf der Bank. Manchmal waren die Summen, die er eintrug, verhältnismäßig hoch; manchmal gingen sie wieder herunter. Es war ein ewiges Steigen und Fallen, aber im allgemeinen bewegte sich die Kurve in aufsteigender Linie. Selbst den schwarzen Börsentag in Wall Street hatte er glücklich überstanden.
Julian hatte mit so gut wie nichts angefangen und sich vorgenommen, sich zurückzuziehen, wenn er ein Vermögen von einer halben Million zusammengebracht hatte. Bei seiner Veranlagung schien es nicht ausgeschlossen, daß er sein Ziel erreichte. Außerdem spielte er immer mit dem Gedanken, eine nicht zu intelligente reiche Erbin zu heiraten. Das war sein Lieblingstraum. Die Hoffnung, einmal eine Millionärstochter aus dem Wasser zu retten, hatte er allerdings schon lange aufgegeben. Früher, als er diesen Plan besonders schätzte, hatte er deshalb sogar Schwimmunterricht genommen.
So selbstzufrieden er sonst auch war, er hatte doch einen gewissen Sinn für Tatsachen und wußte sehr bald, wann er mit einem Plan nichts erreichen konnte. Das brachte ihn dann aber nicht etwa zur Verzweiflung; er nahm alle Schicksalsschläge mit philosophischer Ruhe hin. Marie Fioli war in diesem Augenblick noch kein Fehlschlag für ihn, aber es stand doch ein sehr großes Fragezeichen hinter ihrem Vermögen. Und bevor diese Angelegenheit nicht auf die eine oder andere Weise geklärt war, konnte er sie nicht zum Abschluß bringen.
Julian nahm niemals ein zu großes Risiko auf sich, auch machte er keine unnötigen Anstrengungen. Solange der Heiratsplan mit Marie aussichtsreich war, arbeitete er in dieser Richtung, und er war optimistisch genug, das Beste zu hoffen. Vielleicht konnte er durch diesen Plan die Höchstgrenze seiner Hoffnungen erreichen. Er war auch nicht darauf versessen, die Summe von fünfhunderttausend Pfund unbedingt bis auf den Shilling genau zu erreichen: Das war nur ein allgemeines Ziel. Ob es etwas mehr oder weniger wurde, war gleichgültig.
Niemand kannte Julian durch und durch. Und kaum jemand in England wußte etwas von der schönen kleinen Villa in der Nähe von Florenz, die er sich vor einem Jahr gekauft hatte. Dorthin wollte er sich zurückziehen.
Jetzt fuhr er mit seinem Notizbuch und einem teuren Fotoapparat nach Wolverhampton. Seine Aufnahmen entwickelte er selbst. Das große Werk, das er einmal schreiben wollte und das niemals veröffentlicht werden würde, sollte von der Schlosserkunst handeln. Er hatte dieses Fach mit größter Sorgfalt studiert; er hatte Gelegenheit, alle großen Fabriken in England, die sich in dieser Richtung betätigen, zu besuchen, und seine Spezialkenntnisse ermöglichten es ihm, mit den Ingenieuren und Direktoren auf vertraulichem Fuß zu verkehren. Dadurch erfuhr er Dinge, die so leicht kein anderer hörte. Als Schriftsteller, der sich für dieses Fach besonders interessierte, hatte er Zutritt zu den Fabrikarchiven und lernte die Geheimnisse aller modernen Schlösser kennen. Er fotografierte Schlüssel und Schlösser, und manchmal erlaubte man
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