096 - Kreuzfahrt des Grauens
ließ ihn kalt. Martin war selbstbewußt genug, seine eigene Linie zu verfolgen, und nicht die Masche eines Platten- oder Leinwandidols nachzustricken. So etwas ging früher oder später immer ins Auge. Martin war lieber ein original Heidelberger Bauunternehmer als ein mit Neckarwasser gewaschener Tom-Jones-Verschnitt.
Dann sah Martin ein Mädchen am Swimmingpool, und die Engländerin und alle anderen waren vergessen. Die schöne Unbekannte war eine Eurasierin, schlank und rank, mit einer gut proportionierten Figur ohne ein Gramm Fett. Ihr schwarzes Haar floß bis zu den Hüften herab. Sie stand auf dem Sprungbrett wie eine bronzefarbene Göttin, mit einem knappen weißen Bikini bekleidet.
Die Augen aller Männer in der Nähe hingen an ihr. Sie schien es nicht zu bemerken. Mit einem Kopfsprung tauchte sie ins Wasser.
Martin stand auf und hechtete gleichfalls in den Swimmingpool. Er kraulte ein paarmal an der Halbchinesin vorbei. Als sie aus dem Becken stieg und sich auf einem großen weißen Frotteetuch niederließ, stieg auch Martin aus dem Wasser. Er trocknete sich ab, nahm seine Zigaretten mit und setzte sich neben sie.
„Ich habe Sie noch nicht an Bord gesehen“, begann Martin. Er bot eine Zigarette an. „Rauchen Sie?“
Er hatte Englisch gesprochen.
„Ich habe keine Lust, aus meiner Lunge ein Brikett zu machen“, antwortete das Mädchen in fast akzentfreiem Englisch. „Das Schiff ist nicht gerade klein, da kann man leicht aneinander vorbeilaufen. Ich fahre in der Touristenklasse.“
„Aha, darum“, sagte Martin. „Ich habe die Erste gebucht.“
Touristenklasse und Erste Klasse hatten verschiedene Speiseräume. Martin stellte sich nun vor. Er erfuhr, daß das Mädchen Sue Diaz hieß und mit ihrem Onkel zusammen an Bord war. Yanakawa kam später hinzu. Die drei alberten herum und vergnügten sich am und im Swimmingpool.
Martin merkte, daß auch er Sue Diaz nicht unsympathisch war, zum großen Kummer Yanakawas, der sich sofort für die rassige Eurasierin begeisterte. Sie betrachtete ihn aber gleich nur als guten Freund. Yanakawa war klein und zierlich. In Kleidern sah er aus, als könne ein Windstoß ihn um pusten.
Wenn er eine Badehose trug sah man allerdings, daß jeder Muskel und jede Sehne seines Körpers gestählt waren. Yanakawa hatte keine schwellenden Muskelpakete, aber er war geschmeidig wie ein Panther.
Er und Martin waren gute Freunde geworden in der kurzen Zeit, die sie sich kannten. Als Yanakawa sah, daß Sue Martin ins Auge gefaßt hatte, war er darum nicht böse.
Als sie sich am Swimmingpool trennten, hatte Martin sich mit Sue für den Abend in der Messe verabredet. Gleich nach dem Abendessen ging er hin, mit weißer Smokingjacke und roter Fliege. Sue erwartete ihn bereits. Sie trug einen bis zur Hüfte geschlitzten Sarong, der wie eine zweite Haut saß.
Auch Yanakawa tauchte auf. Er trug einen dunklen Konfektionsanzug, in dem er wie in der Sauna schwitzte. Schon nach einer halben Stunde ging er in seine Kabine.
„Ich ziehe mich um“, sagte er. „Sonst schmore ich im eigenen Saft wie ein Brathähnchen.“
In der Messe spielte eine Drei-Mann-Combo. Der Saxophonist verstand sein Fach. Er brachte einen Blues, der jedem Zuhörer unter die Haut ging.
Yanakawa kam, mit einem offenen Sporthemd bekleidet, zurück.
Martin und Sue tanzten. Das schwarzhaarige Mädchen schmiegte sich an den großen Mann. Martin roch den Duft ihres Haares, und er spürte die glatte Frische ihrer Haut.
Zur Feier des Tages hatte Martin eisgekühlten Champagner bestellt. Sue trank vier Gläser. Das geeiste Getränk mit den prickelnden Bläschen schmeckte ihr vorzüglich, und sie merkte gar nicht, wie sie einen Schwips bekam.
In der Messe war jeder Platz besetzt. Kapitän Fernando Rizar, ein schlanker, eleganter Philippino mit weißer Galauniform, war anwesend. Er tanzte mit einigen weiblichen Passagieren, auch mit Sue.
Als Sue an den runden Tisch zu Martin und Yanakawa zurückkam, kicherte sie. Kapitän Rizar verbeugte sich und ging an seinen Platz zurück.
„Ich habe ihm auf die Füße getreten“, bekannte Sue. „Genau auf sein Hühnerauge. Ich glaube, ich habe einen kleinen Schwips.“
Die Vorstellung, daß der elegante Kapitän profane Hühneraugen hatte, fanden Martin und Yanakawa lustig. Gegen die Feststellung, daß Sue einen Schwips habe, protestierten sie aber energisch.
„Keine Spur! Das kommt vom Tanzen und der Luft hier. Trink ein Glas Champagner, dann wird dir besser.“
„O nein,
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