0963 - Wächter der Blauen Stadt
in einer Parallelwelt. In beiden Fällen konnte er nur mit letzter Kraft wieder entkommen. Ein drittes Mal wollte er sein Glück nicht missbrauchen. Die Benutzung der Regenbogenblumen musste mit äußerster Sorgfalt erfolgen, wollten sie nicht erneut in eine fast unlösbare Situation geraten.
Er blickte kurz hoch zur Kunstsonne, die am Kuppelgewölbe hing und das ganze Jahr hindurch die Blumen beschien. Auch über dieses Wunderwerk besaß er noch nicht viel mehr Informationen als am Tag der Entdeckung dieses Saals.
Nicole Duval trat neben ihn und griff nach seiner Hand. Sie übernahm die Konzentration bei dem Transportvorgang, dabei schloss sie die Augen. So intensiv, wie sie nur konnte, dachte sie an die Gegenstation in der Nähe von Sydney.
Einen Atemzug später fanden sie sich in der Gegenstation der Kolonie, in der Homebush Bay, einem 760 Hektar großen Areal vierzehn Kilometer südlich der City, das man vorzugsweise mit Booten über die Bucht erreichte. Touristen-Schiffe fuhren ebenso wie Nahverkehrsboote vom zentralen Circular Quay in die Innenstadt. In der Homebush Bay war einst die Sydney-Olympiastadt gebaut worden, sie lag weit abgelegen von der City und war seit Ende der Spiele im Jahr 2000 quasi eine tote Stadt. Es gab viel wildes Grün in der Umgebung, und durch eine optische Sperre konnten die Regenbogenblumen im Verborgenen wachsen.
Sie atmeten tief ein, als sie sich bewusst wurden, dass die Versetzung geklappt hatte. Schon beim ersten Atemzug bemerkten sie die klare Luft des Parks, die in erster Linie von den Eukalyptusbäumen stammte.
Nicole und Zamorra traten aus der Blumenkolonie heraus. Die Regenbogenblumen lagen an einer fast unzugänglichen Stelle. Sie waren neben der optischen Sperre mit einem Zaun und einem Ein- und Ausgang, den nur Eingeweihte benutzen konnten, gegen unerwünschte Besucher abgesichert. Vor dem Hinausgehen schaute sich Zamorra genau um, ob sich Personen in der Nähe befanden, die sie sehen konnten.
Nachdem die Kontrolle zur Zufriedenheit des Parapsychologen ausgefallen war, überprüfte er, wie weit seine Schutzmaßnahmen betreffs der Regenbogenblumen noch wirkten. Nachdem der Check positiv ausgefallen war, beschlossen Zamorra und Nicole, dass sie zuerst Chief Inspector Seagrove anrufen und dann per Taxi nach Sydney fahren und die Wartezeit in einem Café verbringen würden.
Als Reisegepäck dienten ihnen zwei mittelgroße Reisetaschen. Sie hatten nicht vor, allzu lange in Australien zu bleiben, und falls der Aufenthalt doch etwas länger ausfallen würde, würden sie im Notfall auch das Nötigste kaufen können.
Zamorra war sicher, dass Nicole Duval zu einem Einkaufsbummel nicht »nein« sagen würde, obwohl sie sich in dieser Hinsicht seit ihrer Rückkehr gewandelt hatte. Die ausufernden Einkaufsorgien der Vergangenheit gab es so nicht mehr, was Zamorra im Hinblick auf seinen Geldbeutel und auf Nicoles übervollen Kleiderschrank mehr als recht war.
»Was meinst du, Chéri?«, fragte Duval und setzte sich eine Sonnenbrille auf. »Randbezirk oder Innenstadt?«
Die Hitze war enorm, ebenfalls die Luftfeuchtigkeit. Schon nach knapp zehn Minuten Aufenthalt lag ein dünner Schweißfilm auf Nicoles Haut. Dabei hatte sie extra ein Top mit Spaghettiträgern, eine kurze Hose und Sandaletten angezogen.
»Kommt darauf an, aus welcher Richtung Seagrove oder seine Leute kommen«, antwortete Zamorra. Auch er hatte sich auf die Temperaturen eingestellt und trug dementsprechend kurze und leichte Kleidung. Die Sonnenbrille hatte er in weiser Voraussicht schon im Keller von Château Montagne aufgesetzt.
Während Zamorra den Chief Inspector anrief und Bescheid gab, dass sie im Lande weilten, rief Nicole ein Taxi. In einem Café in der Innenstadt sollte Seagrove sie abholen.
***
»Kassandra, mein auserkorener Liebling«, sagte Kronntarr mit grollender Bassstimme. »Schön, dass ich dich wieder einmal sehe. Wir waren so lange Zeit voneinander getrennt.«
Die Ohren der Dämonengöre legten sich enger an den Kopf, dabei schrumpften sie etwas. Dazu überzog eine Art Gänsehaut ihre schmalen Oberarme. Ihr Körper versteifte sich regelrecht im Thron - für wen auch immer der gedacht war. Es war deutlich erkennbar, dass Kassandra sich nicht wohlfühlte.
»Du sagst ja nichts, meine Liebe«, beschwerte sich Kronntarr und trat langsam näher. »Dabei musst du mich mindestens ebenso vermisst haben wie ich dich.«
Kassandra zog das Genick leicht ein. Die Gedanken rasten hinter ihrer Stirn hin
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