0963 - Wächter der Blauen Stadt
und her. Sie überlegte krampfhaft, wie sie aus dieser Situation wieder herauskommen konnte, kam aber nur zu dem Ergebnis, dass sie verschwinden sollte, solange sie noch die Gelegenheit dazu erhielt.
Sie war vom Regen in die Traufe gekommen. Klüger wäre es gewesen, wenn sie entweder mit ihren beiden unfreiwilligen Begleitern in der Wüste geblieben wäre oder wenn sie den Tempel behutsamer erkundet hätte.
Aber alles Bedauern half ihr nichts. Sie war nun einmal mit ihrem Todfeind hier und musste zusehen, dass sie das Beste aus dieser Situation herausholte.
Nun war Kronntarr schon an dem Knochenthron angelangt. Er erhob langsam die Hand und strich Kassandra über die Wange. Kalte Ströme flossen von dort ausgehend über ihren gesamten Körper.
»Es erstaunt mich, dich zu sehen«, gab Kronntarr zu. »Ich habe nur ganz wenige Dämonen gesehen, die den Untergang der Hölle überlebt haben. Aber an dich habe ich dabei nicht gedacht. Wo befindet sich dein Vater? Vassago lässt sein Liebchen doch wohl nicht etwa im Stich? Das macht er doch nicht, oder?«
Kassandra presste die Lippen zusammen. Wenn sie zugab, dass sie nicht wusste, wo sich Vassago befand, schaufelte sie sich das eigene Grab. In diesem Fall hätte Kronntarr bestimmt nicht gezögert, sie auf der Stelle umzubringen.
»Hallo, du, ich rede mit dir.« Die Augen des Dämonenmischlings blitzten sie an, die dunkle Stimme wurde fordernder. »Oder bist du zu stolz dazu, mit deinesgleichen zu reden?«
»Vassago ist nur kurz weg«, behauptete Kassandra. »Er kommt bald zurück.«
»Ach, wirklich? Sucht er dich vielleicht wieder, weil du irgendeinen Scheiß gebaut und dabei ich darf das ! gekräht hast?«
Die Dämonengöre versuchte krampfhaft spöttisch und überlegen auszusehen, um ihre Furcht zu verbergen, doch der Erfolg war nur mittelmäßig.
»Wir befinden uns hier im Tempel des Amun-Re«, erklärte Kronntarr wie aus heiterem Himmel. »Hier wurde er vor vielen Tausend Umläufen dieses Planeten angebetet, und hier wurde er vor wenigen Jahren schmählich getötet, indem ihn die drei Zauberschwerter Gwaiyur, Gorgran und Salonar durchbohrten.«
Die Geschichte war jedem Höllenbewohner bekannt. Amun-Re hatte die Macht besessen, durch die Blutopfer sämtlicher Dämonen die Herrschaft der Hölle brechen zu können. Doch kurz bevor ihm das gelungen war, war er im Kampf getötet worden. Der Kelch war damals noch einmal an den Höllenbewohnern vorbeigegangen, und die meisten waren froh darüber.
»Zum Glück ist der miese Dreckskerl nicht mehr am Leben«, fuhr Kronntarr fort. »Welch eine Verschwendung stellt dieser Tempel dar! Damals wurde der falsche Götze angebetet, aber das kann ja geändert werden.«
»Die Bewohner dieses Landstrichs sind einfache Leute«, sagte Kassandra, weil ihr nichts Besseres einfiel.
»Na also, umso leichter können sie ja ab sofort mich anbeten.« Der Dämon hob die Schultern und hielt beide geöffneten Handflächen zur Seite. Kassandra enthielt sich eines Kommentars.
»Oder sie können dein Grab anbeten«, schlug Kronntarr vor. »Das Grab der dummen, vorlauten Göre.«
Vassagos Tochter zuckte bei diesen Worten zusammen. Ihre Augen funkelten vor unterdrücktem Zorn, doch noch konnte sie sich beherrschen. Sie wusste, dass der über drei Meter große Dämon auf jeden Fall der Stärkere war. Ihre Chance zu fliehen bestand in einer List oder einer Ablenkung des groben Gesellen.
» Ich darf das. « Der Dämonenmischling lachte dunkel auf. »Du weißt ja, wie das ist.«
Langsam kam er zur Sache, und Kassandra wurde klar, sie musste sich eher schnell denn langsam aus dem Staub machen. Wenn er auf dieses Thema überleitete, wurde es bald bitterer Ernst. Es war seine Eigenart, erst um den heißen Brei herum zu reden und dann blitzschnell zur Sache zu kommen.
»Wer will schon an einem solchen Grab stehen?«, fragte Kassandra zurück. »Derjenige müsste ja noch viel dümmer sein, als diejenige, die er anbetet.«
Mittels ihrer Magie sondierte sie die Umgebung. Bisher hatte Kronntarr noch keine Falle für sie bereitgestellt. Wahrscheinlich war er genauso überrascht wie sie, dass sie sich unverhofft getroffen hatten.
Kassandra wollte nur fort von hier. Sie lenkte ihre Gedanken dorthin, wo sie in diesem Augenblick besonders starke dämonische Ausstrahlungen aufspürte. Ein Gebiet, das schwarzmagisch bis zum Bersten geladen war.
Sie kannte dieses Gebiet nicht, doch sie konzentrierte sich mit aller Kraft darauf…
»Was ist los, mein
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